Vor einem Jahr hat Rolf Raschle Markus Mahler als Präsident des Gewerbevereins Uzwil abgelöst. Das war an der 99. Hauptversammlung des Vereins. Am 100-Jahr-Jubiläum nun konnte Raschle wohl fast alle Mitglieder mit Partnern und zahlreiche Gäste willkommen heissen. Er stellte fest, dass sich die Zielsetzungen des Vereins in 100 Jahren nicht grundlegend verändert hätten. Erhaltung und Stärkung des Gewerbes stehe nach wie vor im Vordergrund. Dazu seien persönliche Kontakte trotz elektronischer Vernetzung unerlässlich. Gerade auch die Jubiläumsfeier ermögliche diese in geselligem Rahmen.

Post inside
Gewerbevereinspräsident Rolf Raschle: «Gemeinschaftspflege ist heute wie vor 100 Jahren wichtig.»


Industrie verändert Erwerbsstruktur

100 Jahre sind Anlass zu einem Marschhalt. Silvan Baumgartner, Vizepräsident des Gewerbevereins, war mit dem Lokalhistoriker Klaus Sohmer ins Archiv gestiegen und gab einen Überblick über wichtige Stationen und Ereignisse der Vereinsgeschichte. Bis ins 19. Jahrhundert seien Gewerbebetriebe meistens mit einem Landwirtschaftsbetrieb verbunden gewesen. Durch das Aufkommen der Textilindustrie und später der Maschinenindustrie habe die Landwirtschaft an Bedeutung verloren. Gleichzeitig hätten Handel, Gewerbe und Dienstleistungen an Bedeutung gewonnen. 

Post inside
Vizepräsident Silvan Baumgartner: «Es gab in der Geschichte des Gewerbevereins auch Zeiten mit grosser Arbeitslosigkeit.»


Schwierige Anfangsjahre

Die Anfangszeit des neu gegründeten Gewerbevereins war problembeladen. Vom 1. Weltkrieg (1914-18) blieb die Schweiz zwar verschont. Wirtschaftlich wirkte er sich dennoch aus. Es folgten der Generalstreik und die spanische Grippe und 1929/30 die Weltwirtschaftskrise. Schwierig war auch die Zeit vor und während des 2. Weltkrieges. Der grossen Arbeitslosigkeit hat man in Uzwil mit Notstandarbeiten entgegengewirkt (Bau des Schwimmbads). Vom Aufschwung nach dem 2. Weltkrieg hat auch das Gewerbe profitiert. Die Hochkonjunktur hat Vollbeschäftigung gebracht. Bestehende Betriebe vergrösserten sich, neue siedelten sich an. Haben sich 1918 gut 50 Betriebe im Verein zusammengeschlossen, so konnte das 100-Jahr-Jubiläum mit 160 Mitgliedfirmen gefeiert werden.


Personifizierte Geschichte

Gemeindepräsident Lucas Keel baute seine Rede originell auf. Er schlüpfte in verschiedene Rollen, untermalt durch Kopfbedeckungen aus der jeweiligen Zeit. Dabei handelte es sich immer um den Gemeindepräsidenten von Uzwil (bis 1964 hiess die Gemeinde Henau), aber in verschiedenen Epochen. In seiner Rede sollten die Zuhörer Antwort auf drei Fragen bekommen: Woher kommt eine Idee? Wie organisiert man Erfolg? Und haben wir jetzt ein öffentliches Geheimnis?

Post inside
Gemeindepräsident Lucas Keel in verschiedenen Rollen: Gemeindammann Georg Hugentobler.


Bühler-Sensation in Paris

Georg Hugentobler, Gemeindammann von Henau ab 1891, berichtet 1901 vom sensationellen Erfolg einer Walzenstuhl-Entwicklung der Firma Bühler an der Weltausstellung in Paris. An einem Vortrag am Rande der Ausstellung über ungelöste mathematische Probleme hat Hugentobler besonders die These des deutschen Mathematikers Riemann beschäftigt. Diese lautet: Jede gerade Zahl kann aus zwei Primzahlen gebildet werden. Diesen Riemann hat die Uzwiler Unternehmerstochter Anna Maria Naef kennengelernt. Sie hat zwar trotz technischem Verständnis das mathematische Problem nicht gelöst, aber zu einer Zeit, als dies für Frauen noch sehr aussergewöhnlich war, im textilen Bereich Ausserordentliches geleistet.

Post inside
Abraham Schawalder.


Krisenkasse für Stickerei

Abraham Schawalder war von 1915 bis 1942 Gemeindammann. In der Kriegszeit hat er mit der Milchgenossenschaft während 17 Stunden um den Milchpreis gefeilscht. Es ging um einen Rappen pro Liter. Der Gemeinderat nahm anschliessend für sich in Anspruch, die Interessen der Konsumenten scharf zum Ausdruck gebracht zu haben. Wegen der grossen Unsicherheit in der Stickerei-Industrie ist eine Krisenkasse eingerichtet worden.

Post inside
Lucas Keel.


«Es geht uns gut»

«Wenn man heute nicht von guten Zeiten reden kann, wann dann?» Diese Feststellung machte Lucas Keel als amtierender Gemeindepräsident von Uzwil. Er hob die wichtige Rolle hervor, welche das Gewerbe in den vergangenen 100 Jahren gespielt hat. Aus einem Interview mit dem Bühler-CEO Stefan Scheiber zitierte er dessen Aufzählung der Vorzüge des Standortes Uzwil. Sie gipfeln in der Feststellung: «Wenn ich die Wahl hätte, würde ich Bühler wieder in Uzwil gründen.»

Auf dem Weg vom Dorf zur Stadt erachtet Keel Vernetzung als wichtig und wünscht sich eine wertschätzende Feedback-Kultur.

Ausserdem machte Keel noch einen unkonventionellen Vorschlag zur besseren Zukunftsbewältigung. In Anbetracht der Tatsache, dass bald die Hälfte der Bevölkerung im Rentenalter stehe, sollte der Altersgruppe zwischen 18 und 65 Jahren - mindestens vorübergehend - das doppelte Stimmrecht gewährt werden.

Post inside
Igor Stojkovic.


Technologiezentrum Uzwil

Schliesslich trat Lucas Keel als Igor Stojkovic, Gemeindepräsident des vereinigten Uzwil, im Jahre 2050 auf. Uzwil könnte dann weltweit bedeutende Technologien entwickeln und so den Schritt von der Textilindustrie über die Maschinenindustrie zur Denkindustrie vollziehen. Gefeiert würde aber auch dann mit Menschen und nicht mit Robotern. Und in Anlehnung an die von Anna Maria Naef handschriftlich verfassten Briefe im Archiv riet Lucas Keel abschliessend: «Schreiben Sie einen Brief, und zwar von Hand.»

Post inside
Nach dem offiziellen Teil spielten die "Blaumeisen" für die geladenen Gäste und die Bevölkerung auf.