Romilda Lehmann ist eine so genannte Sintezza aus Wil, hat also die fahrende Lebensweise tief in sich verankert. Will heissen: Wenn die Temperaturen im Frühjahr steigen, geht sie mit ihrer Sippschaft in Wohnwagen von Wil aus auf Reisen. Im Herbst kehrt sie für die Wintermonate auf ihren Standplatz zurück. Zwei davon gibt es in Wil. Einen offiziellen, rund 1500 Quadratmeter gross, neben der Kläranlage Freudenau. Ein zweiter ist auf privater Basis beim Eschenhof gelegen. Bereits in vierter Generation lebt die Grossfamilie in Wil. Aufgrund der Lebensweise erstaunt Lehmanns Aussage: «In Wil fühlen wir uns wohl, Wil ist unsere Heimat, in Wil werden wir nett aufgenommen.» Ähnliche Sätze sind auch von Gino Lehmann, ebenfalls ein Wiler Sinto, zu hören: «In Wil wohnen wir, da leben wir. Wir sind Wiler.»
Rund 50 Sinti-Familien gibt es in der Äbtestadt. Jedoch nicht einmal die Hälfte lebt auf einem Standplatz. Rund 30 Familien haben mit einer Wohnung vorlieb zu nehmen – nicht ganz freiwillig. Denn die beiden Standplätze bieten nicht genug Platz für alle Wiler Sinti. Der Kampf um zusätzliche Standplätze ist schwierig, da der Ruf der Sinti schlecht ist und ihnen viele Vorurteile entgegenschlagen.
«Fahrende kommen sowieso»
Es gibt aber auch Fürsprecher. Einer von ihnen ist Robert Raths, Gemeindepräsident von Thal. Da die Gemeinde direkt an der Autobahn liegt, kommen jährlich Fahrende. Einen offiziellen Standplatz gibt es aber nicht. Zu Beginn des Jahrzehnts war ein solcher in Planung. Eine dafür nötige Land-Umzonung wurde von den Stimmbürgern aber hauchdünn abgelehnt. Doch Raths gibt nicht auf und sagt: «Die Fahrenden kommen sowieso. Wenn es keinen offiziellen Platz gibt, dann lassen sie sich auf privatem Gelände nieder.» Sein Ziel ist, im kommenden Jahr einen provisorischen Platz innerhalb der Gemeinde zu errichten. Das ist an gewissen Orten auch ohne Volksabstimmung möglich. Raths hofft, dass sich manch ein Kritiker eines Besseren belehren lässt, wenn die Fahrenden erst mal da sind – und dann die Umwandlung in einen definitiven Standplatz beim Volk ankommt. «Es braucht Vertrauen von der Bevölkerung in die Fahrenden. Diese stehen in der Verantwortung. Den Schlüssel habe schliesslich einzig und alleine ich in der Hand», sagt Raths.
Und wie sieht man das in Wil? Felix Baumgartner von der Fachstelle Integration Region Wil sagt: «Die Schweiz basiert auf einer Minderheitskultur. Wil hat bereits vor 15 Jahren ein Integrationsleitbild erarbeitet. Für den sozialen Zusammenhalt ist es aber wichtig, Gesichter der Minderheiten zu kennen.»
Untereinander keine Einheit
Diese Meinung vertreten auch die Sinti – und ziehen derzeit mit einer Wanderausstellung durchs Land. Nach dem Auftakt in Bern ist momentan der Hof zu Wil zweiter Schauplatz. Noch bis zum 22. November kann im zweiten Obergeschoss Wissenswertes über deren Kultur erfahren werden. Interessant ist zum Beispiel, dass es innerhalb der Fahrenden-Kultur markante Unterschiede gibt. So distanzieren sich die Schweizer Sinti von ausländischen Fahrenden, die sich nicht an die Gepflogenheiten wie Abfallentsorgung oder den Umgang mit der Dorfbevölkerung halten – und damit für ein negatives Bild sorgen. Eines dieser Klischees ist, dass die Fahrenden stehlen. Dazu sagte Urs Glaus von der Stiftung «Plätze führ Fahrende St. Gallen» an einem Sinti-Podium in Wil: «Ja, das kommt vor. Aber das kommt auch in anderen Kreisen der Bevölkerung vor.» Der Diskussionsanlass im Rahmen der besagten Ausstellung endete am Freitagabend mit der Aufforderung, dass sich Sinti mehr in der Öffentlichkeit zeigen sollen, um Vorurteile abzubauen. Zudem sagte Thals Gemeindepräsident Raths zum Schluss, dass man in den nächsten drei bis vier Monaten etwas lesen werde zu Durchgangsplätzen im Kanton St. Gallen.
Die Sinti-Ausstellung «Latscho Diwes» im Hof zu Wil ist noch bis kommenden Donnerstag, 22. November, geöffnet. Samstag: 10-20 Uhr. Sonntag bis Donnerstag: 10-18 Uhr.