„Macht und Pracht“ lautete das Thema der „Europäischen Tage des Denkmals 2017“, an dem sich im Kanton St. Gallen in diesem Jahr Rapperswil, St. Gallen, Weesen und Wil beteiligten. Während zwei Tagen öffneten sich für die Bevölkerung die Türen von Baudenkmälern, zu denen in Wil der Hof als einstiges Machtzentrum der Fürstäbte von St. Gallen sowie das Baronenhaus zählen.Ziel der „Europäischen Tage des Denkmals“ ist es, in der Bevölkerung das Interesse an unseren Kulturgütern und deren Erhaltung zu wecken. In der ganzen Schweiz sind jeweils am zweiten Wochenende im September Interessierte zu Führungen, Exkursionen sowie vielen weiteren Veranstaltungen eingeladen. Auf geführten Rundgängen spürten die Teilnehmenden in Wil einen Hauch der einstigen Machtverhältnisse in der Stadt.
Prunkvolle Innenausstattung
Im Baronenhaus gelangten die Interessierten in den Genuss einer Führung durch offizielle Stadtführerinnen und Stadtführer, wobei die prunkvoll ausgestatteten Räume im zweiten und dritten Obergeschoss gezeigt wurden. Der kleine Palast aus dem Jahr 1795 ist das jüngste historische Bauwerk am "Goldenen Boden". In dessen Räumen können äusserst wertvolle Intarsien-Täfer, Wandmalereien und Stuckaturen bewundert werden. Die üppigen, filigran verarbeiteten Intarsien sind 1993/94 innerhalb von eineinhalb Jahren aufwändig restauriert worden. Massgeblich daran beteiligt war damals Hanspeter Strang, der in zwei Vorträgen das Handwerk der Holzeinlegearbeiten beleuchtete.
Bauherr des in klassizistischer Architektur gehaltenen Baronenhauses war Reichsvogt Josef Pankraz von Grüebler (1737 - 1803). Er gehörte einem aus dem Toggenburg zugewanderten, bereits um 1500 in Wil eingebürgerten Geschlecht an. Der Reichsvogt in Wil war der Stellvertreter des Fürstabtes in weltlichen Dingen und vom Reich bestellter Vorsitzender des Hochgerichts in Wil, über welches der Rat der Stadt nicht verfügte.
Warenhaus von Ortsgemeinde verhindert
Kaum zu glauben, dass das Baronenhaus einst fast aus dem Stadtbild verschwunden wäre. Eine Warenhauskette war an diesem Standort interessiert. Zuvor kam dieser glücklicherweise die Wiler Ortsgemeinde, welche die Liegenschaft 1952 vom Arzt Dr. Josef Bannwart erwarb. Heute werden im prunkvollen Festsaal im dritten Geschoss Konzerte veranstaltet, während im zweiten Geschoss eines von zwei Trauzimmern der Stadt untergebracht ist.
Turmaufstieg als Zückerchen
Belohnt wurden die Teilnehmenden der Baronenhaus-Führung mit einem ganz besonderen Zückerchen, nämlich dem Aufstieg in das nur sehr selten zugängliche Türmchen, von dem sich den Besuchern eine herrliche Aussicht eröffnet.
500 Jahre Äbtegeschichte
Das Wort „Macht“ trifft in einem ganz besonderen Mass auf den Hof zu Wil zu. Während mehr als 500 Jahren residierten dort insgesamt 32 St. Galler Fürstäbte, weshalb die Stadt auch Äbtestadt genannt wird. Zur rund 800 Jahre umfassenden Geschichte dieses Bauwerks von nationaler Bedeutung zählen auch die zwei Jahrhunderte Bierbrauerzeit. Die Verantwortung für den Erhalt dieses einzigartigen Schatzes liegt seit 1990 in den Händen der Stiftung Hof zu Wil. Seit 1994 wird dem Hof in einer aufwändigen Sanierung etappenweise zu neuem Glanz verholfen.
Platz für sieben Einfamilienhäuser
Der imposante Hof zu Wil, der zuoberst in der Altstadt thront, ist den meisten Bewohnern der Stadt ein Begriff. Er ist ein lebendiger und vielfältiger Begegnungsort. Und doch beinhaltet dieses Bauwerk, dessen Geschichte mit einem Wohnturm begann, Details, die nur Eingeweihten bekannt sind. So erfuhr man auf der Führung beispielsweise, dass auf der imposanten Fläche im vierten Obergeschoss nicht weniger als sieben Einfamilienhäuser Platz finden würden und dass sich dort der Firstbalken beeindruckende 13 Meter über dem Boden spannt. Oder dass auf dem Dach des Hofs rund 100‘000 Ziegel liegen. Klar ist, dass es bis zu einer neuen Nutzung der vielen Räumlichkeiten in den oberen Geschossen noch viel zu tun gibt.
Geheimnisvolles Farbpigment
Auf ein besonderes Interesse stiessen an den beiden Tagen die Vorträge des Wiler Malermeisters Jürgen Knopp. Er vermittelte eine Fülle von Informationen über die einstigen natürlichen Rohstoffe zur Herstellung von Farben. So erfuhr man, dass Kalk nicht nur das älteste Baumaterial der Welt ist, sondern auch der erste Farbrohstoff war. Besonders geheimnisvoll ist die historische Farbe blau. Der dafür verwendete, vor allem aus Afghanistan stammende Rohstoff nennt sich Lapislazuli, das als Pigment für eine leuchtend blaue und lichtbeständige Farbe in der abendländischen Kunst eine grosse Rolle spielte. Die auf mittelalterlichen Bildern meist sparsame Verwendung ist darauf zurückzuführen, dass das Pigment ausserordentlich teuer war. Noch heute wird ein Kilogramm für rund 15‘000 Franken gehandelt.
Halbedelstein als Farbrohstoff
Auch als Stein der Könige bezeichnet, war der Halbedelstein Lapislazuli in den antiken Hochkulturen des Vorderen Orients ein begehrtes Handelsobjekt. Besonders wertvoll machte ihn jedoch eine weitere Eigenschaft: Fein zerrieben und mit Bindemittel angerührt, hielt der Halbedelstein im Mittelalter als das Farbpigment Ultramarin Einzug in die Malerei. Der kostbare Farbstoff wird heutzutage in der Regel bei der Restauration alter Gemälde eingesetzt.
Im Anschluss an das spannende Referat bot sich den Interessierten die Gelegenheit, eigenhändig Farben zu mischen.








