Das Wiler Mannschafts-Hotel während des Trainingslagers in den Hügeln oberhalb von Marbella lag fernab des Trubels. Abgeschieden konnten sich die Äbtestädter auf die Challenge-League-Rückrunde vorbereiten. Zumindest vorerst. Denn plötzlich war es vorbei mit der Ruhe. Als hallowil.ch bekannt gemacht hatte, dass ein gewisser Ronny beim FC Wil statt wie erwartet mit Berlin United trainiert, liefen die Drähte heiss. Die Boulevard-Presse aus Deutschland und der Schweiz reiste an. Wegen Ronny. Der Brasilianer ist Bruder von Ex-FC-Zürich-Spieler Raffael, hat für Sporting Lissabon und mehrere Jahre bei Hertha Berlin gespielt, auch in der Deutschen Bundesliga. Weltweite Berühmtheit hat er erlangt, als er 2006 mittels Freistoss den schärfsten je gemessenen Schuss abgab. Bis heute wurden jene 210,9 Stundenkilometer von niemandem überboten.
Nachdem Ronny vor rund einem Jahr seine Karriere beendet hatte, will er es nun nochmals wissen und weilte mit dem FC Wil im Trainingslager – zu Testzwecken. Nun stellt sich die Frage: Soll er verpflichtet werden? Die Entscheidung steht noch aus. Im ersten Einsatz mit den Wilern hat er im Testspiel gegen Chinas U25-Nati bewiesen, dass seine Technik weiterhin überdurchschnittlich ist, zumindest für Challenge-League-Verhältnisse. Und trotzdem würde eine Verpflichtung Fragen aufwerfen.
Gegen Ronny sprechen mehrere Dinge. Zum Beispiel seine Fitness. Für einen Spitzensportler ist er zu schwer. Der Brasilianer glaubt zwar, in zwei Wochen fit zu sein. In Tat und Wahrheit dürfte das aber ein halbes Jahr in Anspruch nehmen – mindestens. Bringt er wirklich die Motivation auf, im beschaulichen Wil noch einmal an seine Leistungsgrenze zu gehen?
Der wichtigste Contra-Punkt: Der FC Wil hat sich nach dem türkischen Desaster völlig zurecht auf die Fahne geschrieben, wieder ein Ausbildungsverein zu sein zu und mit jungen Spielern arbeiten zu wollen. Wie weit das führen kann, hat der vergangene Herbst gezeigt, als mit einer verschworenen Einheit manch ein grosser Gegner geärgert wurde und man vier Runden lang gar an der Spitze der Challenge League stand. Zudem konnte mit dieser neuen, alten Philosophie in der Bevölkerung einiges an Goodwill zurückgewonnen werden. Ein Transfer des 32-jährigen Ronny würde unweigerlich Erinnerungen an türkische Zeiten wecken, als Spieler jenseits der 30 wie Mert Nobre, Egemen Korkmaz oder André Santos ohne Bindung zum Klub durch das Bergholz wandelten, mit reichlich wenig Herzblut. Zudem stünde Ronny einem jüngeren Spieler vor der Sonne. Wie gut sich Ronny, der trotz mehrerer Jahre in Deutschland nur wenige Brocken Deutsch spricht, in die Mannschaft integrieren lässt und für die jungen Spieler ein Vorbild wäre, müsste sich erst weisen.
