Bis zur Einführung des Stimm- und Wahlrechtes im Jahr 1971 sassen keine Frauen in den Behörden. So haben sie im Vergleich zu den Männern wenig Spuren in den historischen Aufzeichnungen hinterlassen. Eine der wenigen ist Adelheid Silber. Sie ist in den Akten vermerkt, weil ihr 1495 der Prozess als Hexe gemacht und sie dabei zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilt wurde. Gemäss der Anklage soll sie für allerlei Unheil verantwortlich und zudem geschlechtlichen Umgang mit dem Teufel gehabt haben. Ihr spielte das Schicksal besonders übel mit.
Auch andere Frauen standen damals kaum auf der privilegierten Seite des Lebens. Ihr Alltag war von harter Arbeit im Haus und auf dem Feld geprägt und sie waren weitgehend fremdbestimmt. Die Kindersterblichkeit war allgemein sehr hoch. Das Leben der Frauen war vorwiegend auf die ominösen drei Ks beschränkt: Kinder, Küche, Kirche.
Mit dem Argument, dass sie doch eines Tages heiraten würden, hielt man während Jahrhunderten eine solide Bildung für Frauen kaum für erforderlich. Damit hatten sie wenig Chancen auf die Entwicklung ihrer Talente und auf Mitbestimmung in der Gesellschaft. Gleichwohl leisteten sie einen entscheidenden Beitrag an die Prosperität von Wil. Als Mütter, als Marktfrauen, als Gastwirtinnen, als tatkräftige Handwerkersgattinnen, als Pädagoginnen, als Pflegende sowie als Arbeiterinnen haben sie zum Funktionieren der Gesellschaft im Alltag einen grossen Beitrag geleistet. So trugen beispielsweise im Westquartier Gastarbeiterinnen aus Italien zur einstigen Blüte der Stickerei- und Textilindustrie bei.
Lebenslanger Einsatz für die Frauen
Neben der grossen Schar von Frauen, die die Äbtestadt wesentlich mitgetragen haben, aber deren Namen heute kaum mehr bekannt sind, haben einige Frauen in Wil nachhaltigen Eindruck gemacht. Wenn aus dem Fluss der Zeit hervorstechenden Wilerinnen die Rede ist, fällt ein Name fast immer als erster: Lotti Ruckstuhl (1901 -1988). Sie setzte sich ein Leben lang für das Frauenstimmrecht ein. Zum einen hat sie die Sensibilität für die benachteiligte Situation von Frauen von ihrer Mutter übernommen. Diese engagierte sich ihrerseits für angemessene Löhne von Verkäuferinnen in einem Warenhaus in Südafrika, wo die Familie längere Zeit lebte.
Lotti Ruckstuhl kam in Ulm zur Welt. Ihre höhere Bildung holte sie sich in Zürich, wo sie an der Universität zur Dr. iur. promoviert wurde. 1933 erlangte sie zusätzlich das Anwaltspatent. Dass sie an ihrer ersten Stelle als Juristin erheblich geringere Aufstiegschancen und Gehaltsaussichten als ihre männlichen Kollegen hatte, motivierte sie zusätzlich für den Einsatz für die Sache der Frau. Sie gilt als eine der hartnäckigsten und ausdauerndsten Treiberinnen für das Frauenstimmrecht, das durch eine Volksabstimmung in die Bundesverfassung aufgenommen wurde. Heute scheint eine Gesellschaft, in der Frauen nicht wählen und abstimmen und auch nicht für ein politisches Amt kandidieren dürfen, kaum mehr vorstellbar.


Bildung für Bäuerinnen
Auf eine andere Weise machte Hanni Pestalozzi (1905-1986) von sich reden. Sie erhöhte die Fachkompetenz der Bäuerinnen und damit wohl auch deren Selbstwertgefühl. Die ausgebildete Handarbeits- und Hauswirtschaftslehrerin gab in Kursen und in Vorträgen ihr Wissen über ausgewogene Ernährung, Selbstversorgung, Vorratshaltung; Gartenbau sowie über Heimarbeit als Nebenverdienst und viele weitere Themen im landwirtschaftlichen Haushalt weiter. 1944 begründete sie eine systematische Ausbildung für Bäuerinnen. Die Lektionen erteilte sie in ihrem Haus auf dem Hofberg.
Mit der Landfrauenbewegung, die Pestalozzi mitbegründete, rief sie eine Interessenvertretung und ein Netzwerk für Bäuerinnen ins Leben. Im Weiteren begründete sie kurz vor ihrem Tod 1986 eine Stiftung, die Bauernfamilien in Not hilft und auch die Weiterbildungen der Landwirte unterstützt. Auch in früheren Jahrhunderten gab es einige Frauen, von denen die Geschichtsbücher erzählen. Leider sind die Kenntnisse über ihre Lebensläufe und ihr Wirken sehr beschränkt. So weiss man kaum etwas über jene jenes Haus für Frauen in Maria Dreibrunnen, das 1508 urkundlich erwähnt wurde. Sagen erzählen zudem von einer frommen Mathilde von Bronschhofen, die in einer Klause neben der Kirche ein asketisches, dem Gebet geweihtes Leben führte.
Partnerin des Abtes
Ein wenig mehr weiss man von Küngolt Schenk von Landegg. Sie entstammte einem niederen Adelsgeschlecht in Lütisburg und gebar einen unehelichen Sohn. 1466 stiftete sie für die St. Nikolauskirche einen Altar, ein Messbuch, Messgewänder, ein Wohnhaus sowie die Unterhaltszahlung für einen Geistlichen. Dies unter der Auflage, dass der erste Nutzniesser von dieser Schenkung ihr Sohn sei.
Erstaunliches erzählen die Überlieferungen von der Witwe Ursula Schnetzer, Witwe von Ruedi Wick. Wahrscheinlich lebte sie unmittelbar neben dem Hof, in der Nähe des heute noch bestehenden Schnetztors. Sie hatte mit Abt Ulrich Rösch (1463- 1491) zwei Söhne. Er residierte im benachbarten Hof und gilt bis heute als grosser Förderer Wils, das unter ihm einen markanten Aufschwung nahm. Vielleicht hat dieses Wohlwollen gegenüber Wil auch einen familiären Hintergrund. In dieser Epoche waren Nachkommen von Geistlichen keine Seltenheit.
Frühe Bildungsunternehmerin
Relativ wenig ist von einer Frau überliefert, die an der Marktgasse eine Privatschule unterhielt. Sie wurde als Ritterin bezeichnet, und war keine gebürtige Wilerin. Von ihrer Existenz weiss man durch Einträge in den Steuerlisten («die frömd schulmaisterin Ritterin»). Seit dem 13. Jahrhundert gab es in Wil eine Lateinschule für Knaben, die von der öffentlichen Hand mitfinanziert wurde. Welche Funktion die zusätzliche Privatschule von Frau Ritter hatte, ist heute nicht bekannt. Sie lebte ausschliesslich von den Beiträgen der Schüler. Damals hatten praktisch ausschliesslich Knaben und Männer Zugang zu Bildung. Da erstaunt es, dass eine Frau eine Bildungsstätte begründete.
Tätige Nächstenliebe
Um 1284 wird in den Aufzeichnungen erstmals bei der Kirche St. Peter lebende Frauengemeinschaft erwähnt. Sie wurde und wird als Samnung bezeichnet, einem alten Wort für Sammlung, im Sinne von Gemeinschaft. Auch ihre Wohn- und Wirkungsstätte wird als Samnung bezeichnet. Sie waren für die Fürbitten für die Verstorbenen zuständig, die damals neben jenem Gotteshaus beerdigt wurden.
Diese Frauen zählten zu Beginen, einer Mischform des religiösen Daseins zwischen Laientum und Ordenslebens. Sie lebten in Armut und Keuschheit und praktizierten die tätige Nächstenliebe. Aber sie legten – im Gegensatz zu den Nonnen – ihre Gelübde auf Zeit ab. Die genauen Ursprünge der Bewegung der Beginen sind nicht restlos geklärt. Die plausibelste Erklärung liegt bei Lambert de Bègue. Der flämische Priester wollte eine Alternative zum damaligen Sittenverfall unter den Klerikern und Ordensleuten schaffen. In der Nähe von Lüttich liess er 1180 einige kleine Häuser, eine Kirche und einen Friedhof anlegen. In den Häusern lebten Jungfrauen und Witwen, die ein religiöses gottgefälliges Leben nach bestimmten Regeln pflegten. Diese Art von Gemeinschaften breitete sich über ganz Europa aus.
Schutz in der Altstadt
In Wil betätigten sich neben der Fürbitte für die Verstorbenen auch als Versorgerinnen der Armen und Kranken. Um nicht Opfer von marodierenden Landsknechten zu werden, zog die Frauengemeinschaft in die Altstadt um, in Nachbarschaft zur St. Nikolauskirche. Ab 1448 lässt sie sich in den städtischen Steuerregistern in der Altstadt nachweisen. Sie kümmerten sich im Heilig-Geist-Spital um die Kranken, dieses stand am Platz des heutigen Kirchplatzschulhauses.
Im Jahr 1615 vereinigten sich die Samnung-Ordensfrauen mit der Bewilligung des Vatikans mit den Dominikanerinnen des Klosters St. Katharina. Diese waren wegen ständiger Querelen und Gängeleien im Zusammenhang mit der Reformation von St. Gallen nach Wil umgezogen waren. Da diese Nonnen 1809 eine Schule für Mädchen begründeten, kamen viele angehende Frauen in der Stadt und in der Region zu einer soliden Bildung. Bis 1965 waren ausschliesslich die Dominikanerinnen für die Beschulung der Wiler Mädchen zuständig.
Wichtig für die Gesellschaft
Die gesellschaftliche Rolle der Samnung-Frauen wird bis heute kontrovers diskutiert: Sie rekrutierten sich oft aus Bürger- und Adelsfamilien und waren oft gebildeter als der Durchschnitt der damaligen Frauen. Durch Schenkungen und Spenden hatten die Gemeinschaften oft einigen Landbesitz. Zudem gingen sie in Bürgerhäusern ein und aus, auch weil sie bevorzugte Patinnen waren.
Wirtschaftlich einigermassen unabhängige Frauen, die nicht an der Seite eines Mannes, aber auch nicht als Nonnen in strenger Klausur lebten, und zudem einigen Landbesitz hatten, standen quer in der streng hierarchisch aufgebauten mittelalterlichen Gesellschaft.
Sie erweckten manchenorts Argwohn, sie gerieten zum Teil in den Verdacht der Ketzerei. Unbestritten ist, dass sie mit ihrer Pflege und Fürsorge für Kranke, Arme sowie als Patinnen einen wichtigen sozialen Beitrag leisteten.

