Die Muttenzerkurve im Basler «Joggeli» gehörte für einmal nicht den FCB-Fans, der Hofplatz nicht einer Bundesrätin, die Tagesschau-Schlagzeile nicht einem Kriegsschauplatz. Knapp eineinhalb Jahre nach dem 11:3-Sieg gegen den FC St. Gallen in der NLA-Meisterschaft rückte der FC Wil ein zweites und bis dato letztes Mal ins ganz grosse Rampenlicht – mal abgesehen von zwei Investoren-Intermezzos.

Die kleinen Wiler wurden Cupsieger. Und das gegen den Rekordmeister, den Rekordcupsieger. Oder wie der damalige Präsident Roger Bigger heute rückblickend sagt: «Wir haben etwas Unmögliches möglich gemacht. Wenn man eine Vision hat, kann man es erreichen.» Und dies mit folgender Startaufstellung: Daniel Lopar; Patrick Winkler, Massimo Rizzo, Philippe Montandon, Stefan Blunschi; Michel Renggli; Davide Callà, Fabinho, Kristian Nushi; Felix Mordeku und Rogerio. Das Staunen im Land war deshalb so gross, weil der FC Wil in den Monaten zuvor in einem Chaos versunken war. Nachdem die Quelle der Hausbank «Andreas Hafen» urplötzlich versiegt war, versuchte sich der beste europäische Fussballer des Jahres 1986, Igor Belanov aus der Ukraine, ziemlich erfolglos im Bergholz und kam bald den Verpflichtungen nicht mehr nach. Die neue Schweizer Führung um Bigger war im Frühjahr 2004 gerade dabei, den Scherbenhaufen zusammenzukehren.

Fabinhos Penalty-Doublette

«Dieser Erfolg war nur als Team möglich. Es brauchte alle, vom Materialwart bis zum Präsidenten», sagt Bigger. Aus dieser Einheit ragten aber zwei Akteure heraus, die noch heute beim FC Wil aktiv sind. Captain Fabinho, der aktuell die zweite Mannschaft trainiert, ebnete am Ostermontag 2004 mit zwei Penalty-Toren den Weg zum 3:2-Sieg gegen die Grasshoppers. «Nachdem ich den ersten Penalty verwertet hatte, dachte ich mir, dass ich es beim zweiten einfach wieder genau gleich mache.» Drin das Ding. Besiegt waren die Grasshoppers mit Stephan Lichtsteiner, Ricardo Cabanas, Richard Nunez oder Aleksandar Mitreski, der mit seinem unnötigen Handspiel im Strafraum den entscheidenden Penalty für die Wiler ermöglichte. Trainer der Zürcher war Alain Geiger, erst am vergangenen Samstag im Bergholz zu Gast für ein Gastspiel mit seinem aktuellen Verein Servette.

Die Äbtestädter waren besonders heiss. Und dies nicht zufällig. Denn Stephan Lehmann, heute Goalie-Trainer auf dem Bergholz, hatte tief in die Trick-Kiste gegriffen. In die Psycho-Trick-Kiste. Hinter dem Rücken der Spieler liess er ein Motivationsvideo zusammenstellen (zu sehen ganz am Ende dieses Artikels). Gezeigt wurde ein Konzert von Robbie Williams in einem proppenvollen Stadion. Immer wieder kamen dazwischen Freunde und Familienangehörige der Spieler zu Wort und wünschten alles Gute. Davor und danach hielt Lehmann eine flammende Rede. «Meine Eltern sprachen für mich. Ich hatte sie zuvor ein Jahr nicht gesehen. Es war sensationell», sagt Fabinho. «Es ging einzig und allein darum, die Köpfe der Spieler frei zu bekommen und ihnen den Druck zu nehmen», erklärt Lehmann. Der ehemalige Schweizer Nationalgoalie war ein wichtiger Pfeiler beim Cupsieg. Auch wenn der Deutsche Joachim Müller das nötige Trainerdiplom brachte, so war der eigentliche Trainer und Antreiber Stephan Lehmann.

Acht internationale Spiele

Als die Anhänger im ersten und einzigen Extra-Zug in der Geschichte des FC Wil aus Basel zurückgekehrt waren, konnte die grosse Party steigen. Zig-tausende Fans waren in der Altstadt dabei – einige mehr als beim nächsten Super-League-Heimspiel gegen … die Grasshoppers. Die Spieler wurden in einem Oldtimer auf den Hofplatz gefahren. An den Tagen danach wurde der Pokal von den Clubverantwortlichen durch die Stadt getragen und im Sommer durften sie bei der Auslosung des UEFA-Cups (Vorgänger der Europa League) dabei sein. Banskà Bystrica aus der Slowakei hiess der Erstrunden-Gegner, an dem der FC Wil dann hängen blieb. Verwehrt blieb ein Heimspiel in der nächsten Runde gegen Benfica Lissabon. Es waren nicht die einzigen internationalen Spiele des FC Wil. In der Saison davor hatte er den UI-Cup – ein heute nicht mehr existierender Qualifikationsbewerb für den UEFA-Cup – erreicht. Dabei schaltete er die Letten die Dinaburg Daugavpils sowie Willem II aus Tilburg in Holland aus, um denn nur ganz knapp am französischen Spitzenklub Nantes zu scheitern.

Durch die schwarzweisse Brille betrachtet, lassen sich die Dinge nun so sehen: Der FC Wil ist bis heute der einzige Klub im Schweizer Fussball, der keinen Cupfinal verloren hat. Und der FC Wil ist jener Ostschweizer Klub, beim dem ein Titelgewinn noch am frischesten ist. Nimmt man die schwarzweisse Brille ab, so ist aber auch zu sagen, dass auf den Tag genau ein Monat nach der Sternstunde von Basel an einem düstern Mittwochabend mit einer 0:4-Pleite im Aarauer Brügglifeld der Abstieg in die Challenge League besiegelt wurde. In dieser sind die Wiler seither durchgehend engagiert.

 
Sehen Sie hier in voller Länge das Video, welches der verletzte FC-Wil-Goalie von 2004, Nicolas Beney, rund um den Cupfinal gedreht hat.