Mit einem geraden Rücken verabschiedet sie ein Dutzend Mädchen, die gerade ihre Tanzstunde besucht haben, an der Eingangstüre des Tanzraumes. Sie lächelt. Ihre langen blonden Haare sind zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Ihre Tanzkleider – Ballettschuhe, eine Leggings, ein Rock und ein langärmliger Oberteil – sind komplett schwarz. «Das habt ihr heute gut gemacht», lobt sie die Mädchen, die zwischen vier und sechs Jahre alt sind.

Svetlana Herzog träumte schon als kleines Mädchen davon, Balletttänzerin zu sein. Das Auftreten auf der Bühne. Hübsche Kleider. Zauberhafte Kostüme. Die wunderschöne Musik mit den zarten Klängen. Das alles habe ihr imponiert, wie sie heute erzählt. «Ich wollte nie etwas anderes als Balletttänzerin werden», erzählt sie zwischen zwei Ballettstunden an diesem Dienstagnachmittag. Denn heute führt Herzog an der Pestalozzistrasse in Wil eine Ballett- und Tanzschule. «Lady Style» nennt sie ihre Schule. «Damit ist ein weiterer Traum in Erfüllung gegangen», erzählt die heute 50-Jährige.

Auf den Drill verzichten

Ein kleiner Zeitsprung: Ihr Gang ist grazil und elegant. Herzog geht auf ihren Zehenspitzen. Mit beiden Händen fasst sie sich an ihrer Hüfte. Vor wenigen Minuten hat die Nachmittagsstunde für ihre kleinsten Schülerinnen angefangen. Zwölf Mädchen tun es ihr gleich. Alle sind auf den Zehenspitzen. Alle klemmen sich die Hände auf die Hüften. Zusammen mit ihrer Ballettlehrerin wirbeln sie durch den hellen Raum. Hier dreht sich ein Mädchen in einem violett-farbenem Tütü-Kleidchen. Da streckt ein anderes Mädchen mit lachsfarbenen Ballettschuhen ihre Händchen in die Höhe. Herzog kontrolliert mit einem Blick in den grossen Spiegel, der sich typisch für eine Tanzschule über die eine ganze Wand des Raumes erstreckt, die Haltung ihrer Schülerinnen. Einzelne pickt sie mit dem Finger leicht in den Rücken. «Die Haltung ist sehr wichtig. Wir sind alle stolze Ladys», ruft Herzog in die Runde.

Der Tanz – er hat ihren berufliche und künstlerichen Werdegang geprägt. «Ich war so von meinem Berufswunsch überzeugt, dass ich mit knapp 18 Jahren eine professionelle und klassische Ausbildung absolviert hatte», erzählt Herzog. Nach ihrer klassischen Ballett-Ausbildung arbeitete sie zwölf Jahre im Stadttheater Chernigov in ihrem Heimatland Ukraine. In dieser Zeit waren die internationalen Bühnen nicht nur ihr wahrgewordener Traum, sondern auch ihr Zuhause. Sie betont, dass es sich dabei nicht nur um einen wahrgewordenen Mädchentraum handelt. Ballett sei ein Weg mit «vielen Tränen und grossem Druck». Tanz sei eine Berufung. «Ballett ist meine Berufung», sagt sie.

 
Das klassische Ballett hat mit viel mehr zu tun als nur Tütüs, hübsche Hochsteckfrisuren und Prima Ballerinas. (Video: Magdalena Ceak)

Auch das Unterrichten ist für Herzog eine Berufung. Aber der Weg bis zur Ballett-Choreographin und -Pädagogin war genauso steinig wie ihre Ausbildung zur Ballerina. «Für einen Ballettunterricht braucht man eine gewisse Reife und vor allem Geduld», erzählt sie. Früher dachte sie, dass sie die einzelnen Tanzschritte den Schülerinnen nur vorzeigen muss und sie das auf Anhieb nachtanzen. «Da habe ich die Rechnung mit den Mädchen noch nicht gemacht», sagt Herzog und lacht. Denn die Schülerinnen hätten oft ihren eigenen Kopf. Gerade hier würden ihr die kulturellen Unterschiede auffallen. In ihrem Heimatland Ukraine besuchen bereits die Kleinsten mehrmals pro Woche den Ballettunterricht – diese Mädchen hätten eine andere Motivation und seien sich schon eine gewisse Stränge gewöhnt. «In der Schweiz ist es undenkbar, dass sich die Mädchen mit Drill unterrichte», erzählt Herzog. Und weil die meisten Mädchen nur einmal pro Woche trainieren, brauche es bedeutend länger bis sich erkennbare Fortschritte einstellen. «Mit meinen Mädchen brauche ich einfach mehr Geduld.»

Nicht nur Kinder-Ballett

Herzog schaut in den Spiegel, der bis zur Decke des hellen und geräumigen Raumes reicht. Sie lächelt das Mädchen, das vor ihr steht und geduldig wartet, an. Die Tanzschülerin möchte, dass Herzog ihr «einen hübschen Dutt» – einen für Ballerinas typischen Haarknoten – zaubert. Plötzlich reihen sich rund ein Dutzend Mädchen in der Nähe ihrer Tanzlehrerin. Herzog nickt mehrmals und zeigt ihren Ballettschülerinnen damit, dass sie allen einen klassischen Dutt machen wird. Innerhalb von fünf Minuten ist Herzog fertig. «Liebe Mädchen, wir beginnen mit dem Aufwärmen.» Aus den Lautsprechern hört man die ersten zarten Töne eines klassischen Stücks.

Alle ihre Erfahrungen, die Herzog während ihrer Tanzkarriere gesammelt hatte, hat sie anschliessend in ein Studium gesteckt. Denn an der Universität in der ukrainischen Hauptstadt Kiew hat sie im Jahr 2004 die Ausbildung zur Choreographin und Pädagogin erfolgreich abgeschlossen. Der Gedanke, eine eigene Ballett- und Tanzschule zu eröffnen, hat Herzog schon lange verfolgt. Ganze drei Anläufe habe sie gebraucht, um eine eigene Ballettschule zu eröffnen. «Angefangen habe ich mit fünf Mädchen», blickt sie heute zurück. Ihr ganzes Erspartes habe sie in diese Schule gesteckt. Heute, knapp sechs Jahre später, besuchen rund 80 Mädchen zwischen 3 und 18 Jahren ihren Unterricht. «Meine Ballettschule ist multikulturell und darauf bin ich stolz», sagt Herzog, die Mädchen aus über 30 verschiedenen Nationen unterrichtet. Ballett verbinde Menschen. Zu ihrem Angebot gehört auch eine Erwachsenengruppe mit 22 Frauen. «Ich unterrichte auch Frauen, weil Ballett – wenn es korrekt ausgeführt wird – ein gesundes Ganzkörpertraining ist», so Herzog. Denn hier werden alle Muskelgruppen beansprucht. Dabei werden Kraft, Koordination und Ausdauer vereint. Es gebe kaum ein anderes Training, welches die Grazie und die Körpersprache so beeinflusse. Wer Ballettunterricht nehme, stärke seine Rücken- und Bauchmuskulatur, die wichtig für einen aufrechten Gang seien und Fehlbelastungen des Rückens vorbeugen würden. «Ballett ist besser und schonender als jedes Fitnessprogramm», sagt die ehemalige Balletttänzerin.

In Zukunft möchte Herzog sich weiterentwickeln und das Angebot in ihrer Ballett- und Tanzschule erweitern. «Ich möchte eine Stunde für Mamas und ihre Babys anbieten», erzählt sie. Und seit Anfang November kann man in der Wiler Ballett- und Tanzschule Gesangsunterricht nehmen. Denn damit möchte sich Herzog einen weiteren Herzenswunsch erfüllen. «In meiner Schule möchte ich alles anbieten, was es für ein Theaterstück braucht», führt sie weiter aus. Tanz. Gesang. Schauspielerei. Bühnengestaltung. «So können wir in Zukunft noch kreativer und vielfältiger unsere Aufführungen gestalten.» Aus diesem Grund arbeitet sie mit einer ausgebildeten Gesangslehrerin zusammen, die sie vor Jahren an der Operette Sirnach kennengelernt hat. «Im heutigen digitalen Zeitalter ist es enorm wichtig, dass man Kindern solche Angebote bietet, in der sie sich mit dem Thema Kunst auseinandersetzen», sagt Gesangslehrerin Oksana Peter-Fedjura Sie ist von Herzogs Idee begeistert. Mit diesem vollumfänglichen Angebot würde Herzog den Kinder in der Region Wil eine Kunst-Ausbildung mit auf den Weg geben. 

Am 11. Januar 2020 findet um 14 Uhr im evangelischen Kirchensaal in Wil das Neujahrsfest der Ballett- und Tanzschule statt.