Der Wunsch nach einer längeren Auszeit auf Schusters Rappen schlummerte seit rund vier Jahren in Alex Lyner. Weitwanderwege sind ein kommender Trend und ein gutes Mittel zum Entschleunigen und aus der digitalen Hektik auszubrechen. Diesen Sommer ergab sich beim 53-Jährigen bei einem Stellenwechsel die Gelegenheit zu einer langen Tour. Unterwegs wollte der Vater zweier erwachsener Töchter für sich eine Standortbestimmung in seinem Leben vornehmen. Sein Vorhaben hat sich erfüllt, er habe zu sich selbst zurückgefunden, betont der Wiler. Nach der Rückkehr verspürt er wieder eine «innere Ruhe und Gelassenheit, und ich fühle mich mit mir im Reinen.»
Vor seinem Abmarsch macht er sich Gedanken darüber wie er die letzte Dekade seines Berufslebens ausfüllen will. Ob er die nächsten Jahre weiter als Informatiker arbeiten wolle, oder ob ein Berufswechsel fällig sei. Nach den Wochen quer durch das südliche Europa ist er sich sicher, dass seine berufliche Zukunft in der digitalen Welt liegt.
Aufbruch ins Ungewisse
Am 3. Mai diesen Jahres brach er zu seiner Tour auf. Er war sich damals nicht sicher, ob er sein gestecktes Endziel tatsächlich erreichen wird. Er hätte an seine körperlichen Belastungsgrenzen gelangen oder unterwegs in eine anhaltende Motivationskrise geraten können – auch ein Unfall oder eine Krankheit hätte seine Pläne durchkreuzen können. Am 12. August erreichte er unbeschadet und um viele Erfahrungen reicher den Endpunkt seiner langen Tour: den heiligen Berg Athos in Griechenland. Anschliessend flog er von Thessaloniki zurück in der Schweiz.
Zuvor durchquerte er Slowenien, Kroatien und Albanien – «Landschaften von atemberaubender Schönheit». Er übernachtete in historischen Klöstern sowie unter dem funkelnden Sternenhimmel und er bestieg jenen Berg, auf dem der Legende nach die griechischen Götter wohnen, den Olymp. Der Höhepunkt war erst beim dritten Anlauf befriedigend: Der erste Aufstieg war im Nebel, beim zweiten übervölkerten andere Kletterer den Gipfel. Der dritte Versuch war ein voller Erfolg: «Ich startete um fünf Uhr morgens und war um sieben Uhr ganz allein bei bestem Wetter auf dem Gipfel, ein unglaublich intensives Erlebnis.»
Eine ähnlich nachhaltig prägende Erfahrung erlebte er Tage danach, in einem Kloster auf dem Athos nahm er an den Gottesdiensten der orthodoxen Mönche teil. «Auch wenn ich sprachlich nichts verstand, so spürte ich doch die besondere Spiritualität dieses Ortes, einen tiefen ergreifenden Frieden für den die Mönche da beten, eine Art Weltfrieden»
Kleine Schönheiten unterwegs
Doch seine Tour bestand nicht nur aus Höhenpunkten, sein unangenehmstes Erlebnis war ein Hund in Montenegro, der ihn in den Unterschenkel biss.
Unterwegs ging ihm vieles durch den Kopf. «Die Gedanken waren manchmal in der Vergangenheit, manchmal in der Zukunft, häufig aber auch in der Gegenwart. Am Wegrand gab es viel zu entdecken, etwa kultische Steinbrocken aus vorchristlicher Zeit, immer wieder rauschende Wasserfälle in allen Variationen oder auch Kleines, wie Blumen oder Blindschleichen, die man schon mit dem Fahrrad nicht mehr sieht, weil man zu schnell unterwegs ist.» Er habe zudem auch viele beeindruckende Menschen kennengelernt, die ihn phasenweise begleitet haben, schwärmt Lyner.
Übernachtungsmöglichkeiten fand er in «B&B»-Zimmern, in Pensionen, in Jugendherbergen, auf Campingplätzen oder auch mal im Schlafsack unter freiem Himmel.
Befreiter Kopf
Für den Wiler Informatiker war seine Langzeitwanderung nicht ein einmaliges Projekt, er kann sich durchaus vorstellen später wieder einmal aufzubrechen. «Allerdings nicht mehr so lange. Nach vier bis fünf Wochen ist der Kopf ausgelüftet und befreit. Danach geht es nur noch um Selbstmotivation und Durchhaltevermögen. Dass ich über beides ausreichend verfüge, habe ich in meinem Leben genügend oft bewiesen.»
Was gibt Lyner Menschen mit dem auf den Weg, die sich selber gerne mal wandernd eine Auszeit gönnen möchten? Eine gute Ausrüstung sei wichtig, betont er. Es braucht herzlich wenig, nicht einmal trainiert muss man sein, das macht der Weg von alleine. Vor allem gehe es um das Tun. «'Just do it' – 'Mach es einfach' heisst eine Redewendung. Genau darum geht es: Nicht allzu lange hin und her überlegen, sondern einfach aufbrechen.»
Und noch ein Tipp hat Lyner nach seinem Sabbatical in seinem Erfahrungsschatz: «Was man nicht ändern kann, muss man akzeptieren. Einfach mal entspannen, sich zurücknehmen und loslassen. Carpe Diem.»