Zur Person des Referenten
Prof. Dr. theol. lic. phil. Peter Kirchschläger ist eben erst als Professor für theologische Ethik an der Uni Luzern gewählt worden. Sein Werdegang liest sich wie eine Weltreise durch wichtige Universitäten der Welt. Seine Interessen gelten vor allem der Einhaltung der Menschenrechte in einem wirtschaftlich geprägten Umfeld. Er ist zudem katholischer Theologe und gefragter Referent zu verschiedenen Themen, die Menschen in ihrem praktischen Alltag betreffen. Politik und Wirtschaft sind heute eng verflochten, darum betrifft das Thema oft auch beide Bereiche.
Hier können wichtige Berufsstationen von Prof. Dr. theol. lic. phil. Peter Kirchschläger nachgelesen werden: https://www.unilu.ch/fakultaeten/tf/professuren/theologische-ethik/mitarbeitende/peter-kirchschlaeger/
https://www.kath.ch/newsd/der-neue-luzerner-ethiker-peter-kirchschlaeger-stellt-sich-vor/
Fundamentalistische Ökonomie?
Während sowohl religiöser wie auch politischer Fundamentalismus ziemlich bekannte Phänomene sind, fragt man sich beim ökonomischen Fundamentalismus doch eher, was denn hier die Grundzüge seien. Die gedankliche Ausrichtung ist allerdings bei allen drei Erscheinungsformen genau die gleiche. Lüder Gerken schreibt in „Die Freiheit des Menschen im Liberalismus“. „Fundamentalismus lässt sich wie folgt charakterisieren: Man überhöht ein Prinzip und verlangt von anderen, dass auch sie dieses Prinzip als obersten Wert übernehmen.“ Siehe dazu auch: https://lobbypedia.de/wiki/Stiftung_Ordnungspolitik
Das ist auch in Religion und Politik für Fundamentalisten die Maxime. Weil man selber genau weiss, wie etwas funktionieren – oder gemacht werden – sollte, ist es solchen Menschen klar, dass dies für alle gelte.
Homo Oeconomicus
Erst zeigte Peter Kirchschläger auf, wie ein Mensch „tickt“, welcher sich völlig dem ökonomischen Denken verschrieben hat. Für den Homo Oeconomicus ist das oberste Prinzip der eigene Gewinn. Das Recht des Stärkeren wird als höchste „Tugend“ angesehen, bei jedem „Deal“ möchte man auf jeden Fall obenauf sein. Es gibt unendliche Bedürfnisse – auch wenn man die manchmal erst meint wecken zu müssen… - und knappe Ressourcen. Da muss man doch zuerst einmal für sich schauen! Der materielle Lebensstandard wird hier als wichtiger angesehen als die individuelle Freiheit. Würde die Wirtschaft nur nach den Massstäben solcher Menschen funktionieren, würde die Gesellschaft sofort auseinanderdriften.
Soziale Marktwirtschaft
Wirtschaftliches Denken ist wichtig, aber es braucht auch Grenzen. Wirtschaftliches Handeln soll mit den Bedürfnissen der ganzen Gesellschaft abgeglichen werden. Das Recht auf Eigentum wird gewahrt. Es gibt jedoch Bereiche des öffentlichen Lebens, die kein Geld einbringen und dennoch für die Gesellschaft unverzichtbar sind.
Adam Smith, der schottische Philosoph und Aufklärer schrieb dazu sinngemäss: „Die Wirtschaft soll der Gesellschaft dienen und Mittel zur Erreichung von Glück für eine möglichst grosse Anzahl Menschen sein.“ Für ihn bedeutete Marktwirtschaft keinen Selbstzweck, sondern sollte der Überwindung von Elend und Armut dienen. https://www.wiwo.de/politik/konjunktur/adam-smith-urvater-der-oekonomie/5939410.html
Aber auch in der Sozialen Marktwirtschaft soll es Anreize für einen offenen Markt geben. Kartelle sind dagegen schädlich, weil sie den Markt und Dienstleistungen verteuern, wie sich im Augenblick bei der Aufarbeitung der jahrelangen Absprachen von Baufirmen im Bündnerland zeigt.
Beschränkte Rohstoffe
Das heute für die meisten hiesigen Menschen unverzichtbare Handy eignet sich gut als Beispiel für knappe Ressourcen bei unbegrenzten Bedürfnissen. Es wird gerne ausgeblendet, unter welch unwürdigen Bedingungen diese Rohstoffe im fernen Afrika gewonnen werden. Kinderarbeit ist oft die Regel. Das nimmt man in Kauf, weil man schliesslich mit der Technologie mithalten will. Über Schweizer Firmen laufen ganz viele Rohstoffgeschäfte, man denke nur an GLENCORE, den Mineralölhändler VITOL oder an CARGILL INTERNATIONAL, eine Handelsfirma mit Agrarprodukten. Der Rohstoffhandel ist zum grossen Teil in Schweizer Händen. Man sieht vor Ort allerdings Journalisten gar nicht gerne, weil dies zu schlechter Presse und Gewinneinbussen führen könnte, denn die Arbeitsbedingungen sind vielfach menschenunwürdig, genauso in der Textilindustrie in Billiglohnländern wie Thailand oder Bangladesch.
Verlierer in der freien Marktwirtschaft
Nicht alle Menschen sind fit für den heutigen schnellen Arbeitsmarkt. Kinder beispielsweise, aber auch Menschen mit Beeinträchtigungen körperlicher oder psychischer Art können hier nicht mithalten. Für sie braucht es deshalb besondere Möglichkeiten, dennoch ein sinnvolles, menschenwürdiges Leben führen zu können. Es braucht Rahmenbedingungen, die auch dieser Bevölkerungsgruppe ein anständiges Leben ermöglichen. Bei der Ausarbeitung und Überprüfung solcher Richtlinien ist die Politik gefordert.
Wichtige Institutionen eines demokratischen Staates
Staatliche Institutionen wie die AHV, die IV oder auch die Arbeitslosenversicherung federn solche Schwierigkeiten ab. Auch beim ÖV ist Gewinnstreben fehl am Platz. Dieser hilft auch Menschen mit wenig Einkommen, ohne grosse Umweltverschmutzung von A nach B zu kommen. Der Staat muss immer das Gemeinwohl im Auge haben, kann nicht nur die Kosten als Massstab nehmen, sondern auch den Nutzen für den einzelnen Menschen. Bildung ist ein hohes Gut, in Tieflohnländern aber oft nur für wenige zugänglich. Und weil dort die Eltern meist nur wenig verdienen, müssen die Kinder zu noch tieferen Löhnen mithelfen, können keine Schule besuchen und verpassen so wichtige Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben oder Mathematik. Für diese Menschen ist es äusserst schwierig, je aus dieser Armutsfalle herauszukommen.
Wachstum hinterfragen
Der „Club of Rome“ schrieb schon vor 40 Jahren einen Bestseller namens „Die Grenzen des Wachstums“. Die ZEIT schrieb dazu ein kritisches Essay
https://www.zeit.de/2012/48/Die-Grenzen-des-Wachstums-Wirtschaft-Prognosen
Wie kommt man aber aus dieser Falle wieder heraus? Laut Kirchschläger gibt es drei Möglichkeiten.
1. Aus . moralischen Gründen kann jemand vom Wettbewerb ausgeschlossen werden.
2. Es gibt Sanktionen für unmoralisches Verhalten.
3. Ethisches und nachhaltiges Wirtschaften führt zu einem Wettbewerbsvorteil - z.B. Fair Trade.
Konzernverantwortungsinitiative
In einer anschaulichen Grafik zeigte Peter Kirchschläger auf, wie viele Menschen allein durch grosse Armut ums Leben kommen, nämlich viel mehr als durch alle Kriege – auch wenn dies ebenfalls ein Skandal ist, welcher vielfach von wirtschaftlichen und machtpolitischen Interessen geprägt ist. Konsumenten in den reichen Ländern haben ebenfalls eine Verantwortung. Wer stets nur auf das Allerbilligste schielt, nimmt in Kauf, dass dahinter schmutzige Geschäfte wie Kinderarbeit, Umweltverschmutzung, Ausbeutung und Gesundheitsgefährdung der Arbeiterschaft stehen. Kirchschläger plädiert dafür, dass die grossen multinationalen Schweizer Firmen da in der Pflicht stehen. Die Konzernverantwortungs-Initiative will diesen Anspruch per Volksabstimmung festschreiben lassen. Viele Wirtschaftsführer sehen in der Wirtschaftsethik, die dieser Initiative zugrunde liegt, allerdings eine Störung des freien Marktes. Kirchschläger Frage an solche Manager oder Firmenbesitzer: „Würden Sie Ihre Kinder in derartigen Verhältnissen arbeiten lassen?“
https://konzern-initiative.ch/
Christliche Sicht
Das Streben nach wirtschaftlichem Erfolg lässt sich mit der christlichen Ethik gut vereinbaren, wenn dieses Handeln dem Menschen dient. Der Leitgedanke sollte immer „Freiheit in Verantwortung“ sein. Der Ausschluss von Menschen ist nicht tolerierbar. Menschenwürde, Demokratie, Gerechtigkeit, Gemeinwohl und Solidarität müssen immer im Hinterkopf behalten und in die Geschäftsplanung einbezogen werden. Die Wirtschaft sollte allen Menschen Zugang zu lebensnotwendigen Gütern ermöglichen, nicht nur den Gutbetuchten.
Neue Herausforderungen
Im Moment läuft gerade eine neue Revolution in der Arbeitsverteilung an. Digitalisierung heisst das Zauberwort. Und es bringt neue Problemfelder mit sich. Viele Arbeitsplätze, ja viele Berufe werden nach und nach verschwinden, es wird neue Modelle der Verteilung von Finanzen brauchen. Schon heute ist die Jugendarbeitslosigkeit in südlichen Ländern hoch. Zudem brauchen diese hochkomplexen Vorgänge auch bestens ausgebildete Personen. Nicht alle werden da mithalten können. Die Kassierin oder auch der Chirurg werden irgendwann durch selbstlernende Roboter ersetzt werden, die Autos selbständig fahren… Gewisse Kreise möchten öffentliche Institutionen wie den Verkehr oder auch Ressourcen wie Wasser privatisieren, um damit hohe Gewinne zu machen. Ethisch ist das nicht zu verantworten, denn alle Menschen haben das Recht auf gute Luft, sauberes Wasser und den Zugang zum ÖV.
Diskussion
Nach dem äusserst dichten Referat kam eine rege Diskussion auf. Ein Fragesteller wünschte konkrete Beispiele zu ethisch handelnden Firmen. Antwort: Die „natura-line“-Produkte von Coop dürfen sicher als ein faires Handeln bezeichnet werden, aber auch der Handel mit Fair-Trade-Produkten. Auch andere Firmen haben gemerkt, dass „Social Entrepreneur“, also soziales Unternehmertum, einer Firma erstens mehr Glaubwürdigkeit und zweitens sogar mehr Gewinn bringen kann. Als Beispiel dazu erzählte Kirchschläger von den Wasserkiosken in Sambia, einem Projekt namens „Wasser für Wasser“ https://wasserfuerwasser.ch/ , welches von verschiedenen hiesigen Restaurants unterstützt wird.
Nach einer Stunde waren schliesslich die meisten Fragen beantwortet. Bei einem Apéro im Foyer der Unterkirche gingen die Diskussionen aber noch ziemlich lange weiter. Mit dieser Thematik haben die beiden Kirchgemeinden ein Denkfeld angestossen, welches Besucherinnen und Besucher der Abende sicher weiter beschäftigen wird.
Hier können auch die Artikel zu den ersten beiden Bildungsabenden nachgelesen werden.
https://hallowil.ch/fundamentalismus-als-phanomen-einer-multikulturellen-zeit.html