Sandra Fitze betreibt auf dem Hofberg in Wil zusammen mit ihrem Mann und ihren fünf Kindern einen Hof mit 190 Muttergeissen und Aufzuchtrindern.
Als Sandra Fitze hinter sich das Tor zum Gitzistall schliesst, wusseln die 90 jungen Geissen wild durcheinander. Es sind «Gemsfarbige Gebirgsziegen» und die allermeisten von ihnen haben auf dem Rücken einen schwarzen Streifen und sind teilweise am Kopf und am Bauch ebenfalls schwarz gezeichnet. Einzelne haben am Kopf kleine weisse Flecken, sie sind zwischen fünf und sechs Wochen alt und rennen wild durcheinander. Als die Bäuerin ein Gitzi auf den Arm nimmt, beginnt dieses sie lebhaft zu liebkosen, während zwanzig, dreissig weitere Gitzis ihr um die Beine streichen und an ihren Hosenbeinen knabbern. Sandra Fitze weiss, dass dieser Anblick dem Zuschauer das Herz schmelzen lässt. «Natürlich sind sie so herzig und viele von ihnen habe ich mit der Flasche gschöppelet» sagt sie ohne auf eine entsprechende Frage zu antworten, «doch das ist unser Verdienst und deshalb müssen sie auch schon bald in die Metzgerei. » Gitzi mit einem Gewicht zwischen viereinhalb und neun Kilos seien die klassischen Ostergitzi und beim Konsument am beliebtesten. Dieses Frühjahr haben sie bereits 180 abgeliefert. Diejenigen mit der gelben Ohrmarke werden zu Milchgeissen nachgezogen.

Aufzuchtrinder und Geissen
Sie und ihr Mann Niklaus haben sich für Geissen entschieden, weil sie damals nach einem neuen Betriebszweig suchten und die Geissenmilch vor dreizehn Jahren ein gesuchtes Produkt war. Das junge Paar hatte im 2005 die Möglichkeit, einen Betrieb in der Nachbarschaft mit einer Scheune und zehn Hektaren Land zu übernehmen und so einigte man sich auf Geissen mit der Idee, die Milch zu vermarkten und Gitzifleisch zu produzieren, erklärt die junge Bäuerin später am Küchentisch. Früher war der Betrieb, hoch über der Stadt Wil gelegen und von modernen Wohnbauten umgeben, ein klassischer Milchwirtschaftsbetrieb. Später entschied man sich zusätzlich für Mastmunis und heute hat sich die Aufzucht von Rindern durchgesetzt. Für die Geissen, wie auch für die Rinder wurden in den vergangenen Jahren neue Ställe gebaut. Die Kombination von Aufzuchtrindern und Milchgeissen findet Sandra Fitze ideal. Speziell auch, weil die Rinder über die Sommermonate auf der Alp seien und sie dadurch mehr Kapazitäten frei haben für den Ackerbau und das Heuen. «Im Winter gibt es mit dem «Gitzeln» viel zu tun, daneben arbeitet mein Mann im Holz. Im Hofladen werden Produkte vom Hof angeboten und auf dem Hof leben auch noch fünf Esel, zwei Stuten, ein Hengst und Kaninchen.

Arbeitsbelastung ist hoch
Für Sandra Fitze beginnt der Tag früh. Um halb fünf Uhr steht sie auf und fährt mit dem Vierrad-Auto einen Kilometer zum Geissenstall. Auch wenn mit dem neuen Melkroboter zwanzig Geissen zusammen gemolken werden können, eineinhalb Stunden dauert die Melkerei trotzdem. Füttern, Automat waschen, die kleinen «schöppelen» – alles gibt Arbeit. In der Zwischenzeit stehen ihre fünf Kinder zwischen neun und 16 Jahren selbständig auf. Frühstück und ab in die Schule. Die Älteste wird im Sommer ein Praktikumsjahr beginnen und ein Jahr später die Lehre als Fachangestellte Gesundheit antreten. Nach dem Mittag arbeitet Sandra nochmals im Geissenstall und ab halb fünf beginnt das Melken erneut. «Die Arbeitsbelastung ist hoch», erzählt Sandra. Nach der Bäuerinnenprüfung und dem Lehrmeisterkurs habe sie zehn junge Frauen im Bäuerlichen Haushaltlehrjahr ausgebildet. «Eine bereichernde Zeit», sagt sie rückblickend. Leider habe sich mit dem neuen Modulsystem vieles verändert und deshalb habe sie sich entschieden, darauf zu verzichten. Glücklicherweise dürfe sie immer wieder auf die helfenden Hände ihrer Eltern zählen. «Um den Garten kümmert sich mein Vater und in der Küche packt meine Mutter oft an», sagt Sandra und lacht. Auch schon hatten sie einen Angestellten auf dem Betrieb, doch seit längerem wursteln sie sich ohne Angestellte durch. Familienferien seien schwierig, doch zwei Tage z’Berg, wandern und die Natur geniessen, das liege hin und wieder drin, erzählt sie. Am liebsten würde sie mal einen ganzen Sommer z’Alp gehen und noch lieber würden sie und ihr Mann eine Alp kaufen und ihre Rinder dort übersömmern, schildert sie mit leuchtenden Augen. «Und überhaupt, Heuen ist so schön wie Ferien. »

Erholung im Akkordeon-Spielring
Aufgewachsen ist Sandra im thurgauischen Dingetswil auf knapp 900 Meter über Meer. Ihr Vater war Lehrer an der Gesamtschule, wo die vier Lehrerskinder die einzigen Nichtbauern waren. Wenn ihre Klassenkameradinnen zu Hause am Heuen waren, mussten sie für ihre Schafe und anderen Haustiere auch heuen. «Ich kannte nichts anderes und habe später auch bei einem Nachbarn immer auf dem Hof mitgeholfen, wo ich ausser dem Melken alles gemacht habe. » In der Natur sein, mit den Händen arbeiten, das habe ihr immer besser gefallen als etwa in der Stadt zu shoppen, erklärt sie. Trotzdem habe sie nach dem bäuerlichen Haushaltlehrjahr eine Lehre als Bäcker-Konditorin absolviert, habe engagiert Akkordeon gespielt und im Akkordeon-Spielring gar mal als Präsidentin geamtet. Auch Rock n’Roll habe sie getanzt und in der Landjugend mitgemacht. «Für das Schwyzerörgelispielen habe ich länger keine Zeit mehr gehabt, erst kürzlich bin ich mit der Tochter zusammen wieder eingestiegen und seither spielen wir hin und wieder in einer kleinen Formation. » Als sie 2001 auf den Hofberg kam, war dieser ein Pachtbetrieb. Sie bauten damals eine Wohnung im Dachgeschoss für die Schwiegereltern und konnten den Hof zehn Jahre später erwerben. Und wo erholt sich die engagierte Bäuerin? «Im Akkordeon-Spielring», sagt Sanda Fitze schnell. «Hier treffe ich meine Freunde, meine zwei jüngeren Schwestern, hier fühle ich mich wohl und es muss echt etwas Gravierendes los sein, dass ich auf das Musizieren verzichte. »