Was gehört zu einem perfekten Sommer? Für viele Wiler und Einwohner der umliegenden Gemeinden ein Besuch an der Hofchilbi. Alljährlich läuft das Ritual Ende Juli nach demselben Muster ab: Eine prominente Person aus Sport oder Kultur fährt gegen 18.30 Uhr auf dem Kutschbock eines sechsspännigen Pferdefuhrwerk, das mit Bierfässern beladen ist, in die Altstadt. Das zahlreiche Publikum auf den Festbänken wartet voller Vorfreude auf den Auftakt zum Volksfest. Dieses Jahrwird die Ehre der ehemaligen Eishockey-Nationalspielerin Anja Stiefel aus Züberwangen zuteil. In früheren Jahren hatten schon die Volksmusiker Hansueli Alder und Melanie Oesch, Mister Schweiz Renzo Blumenthal sowie der Metrologe Jürg Zogg den Gerstensaft spritzen lassen.
Einweihung einer Kapelle
Dieses Procedere ist keine verfrühte Referenz ans Münchner Oktoberfest, nach dem Motto „Ozopft is“, es ist ein beliebter Brauch, dessen Ursprünge ins Jahr 1540 zurückreichen. Damals wurde als Anbau am monumentalen Hof, einem der historischen Wahrzeichen von nationaler Bedeutung, die Dienerschaftskapelle eingeweiht.
Die heutigen Zutaten für eine gelungene Chilbi dürften sich von den damaligen kaum unterschieden haben: Musik, Tanz, Begegnung, fröhliche Stimmung, erlebnishungrige Frauen und Männer – und natürlich Bier.
30 Eimer Bier als Lehnszins
Bis zum Jahr 1722 wurde die Hofchilbi alljährlich durchgeführt. Es folgten Hungerjahre, die keine Feierlaune aufkommen liessen. Der Brauch geriet in Vergessenheit. Bis ins Jahr 1972. Dann belebte ihn die damalige Brauerei Hof. Dabei berief sie sich auf eine noch ältere Tradition. Sie geht auf das Jahr 754 zurück. Damals wurde die Region Wil in einer Schenkungsurkunde erstmals erwähnt: Der freie Bauer Rotpald überschrieb seine Güter für sein Seelenheil dem Kloster St. Gallen. Als jährlicher Lehnszins wurde Korn, Schweine sowie 30 Eimer Bier festgelegt, dies entspricht 1125 Litern.
Diese Menge wird heute an die Besucherinnen und Besucher der Hofchilbi verkauft. Der Erlös kommt unter anderem dem Unterhalt des Hofs gute. Die dritte Renovationsetappe steht an. Mittlerweile wird das Bier von der Brauerei Feldschlösschen geliefert.
Wechselvolle Geschichte
Die Brauerei Hof ihrerseits hat ihren Betrieb 1982 eingestellt, ihre Installationen wurden zurückgebaut. Einige historische Flaschen in Vitrinen sowie Fotografien und Plakate erinnern heute an die lange Brautradition. Der ehemalige Brautrakt ist mittlerweile mit Büchern und anderen Medien angefüllt, er wird als städtische Bibliothek genutzt.
Die eigentliche Braugeschichte im Hof begann 1815. Damals erhielt der Reichsvogt Baron Wirz à Rudenz vom Gemeinderat eine Braulizenz. Nach der Aufhebung des Klosters St. Gallen wurde er zum Eigentümer des ehemals äbtischen Sitzes. Im Lauf der weiteren Geschichte wechselten die Besitzer und die Pächter immer wieder
Moderne Zeiten
Die Brauerei Hof war die letzte von ehemals vier auf Wiler Stadtgebiet. Die kleinste von ihnen an der Hubstrasse hatte nur eine kurze Lebensdauer. Als die Industrialisierung auch die Ostschweiz erfasste, entstand 1872 in Kombination einer Speisewirtschaft eine sogenannte Dampfbrauerei. Diese Bezeichnung sollte damals Modernität vermitteln. Beim Brauvorgang wirkten Dampfmaschinen mit.
1883 übernahm ein aus Bayern Zugewanderter die Gaststätte mit Brauerei und stellte ein Bier in der Münchner Tradition her. Sein Geschäft florierte, er errichtete beim heutigen Bleicheparkplatz ein grosses Braugebäude mit Pferdestallungen zur Auslieferung des Biers. Später erwarb die Löwenbräu Zürich die Liegenschaft. Ab 1924 wurde sie nur noch als Depot genutzt.
Gescheitertes Kulturzentrumprojekt
Als Mitte der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts der Entscheid zur gänzlichen Stilllegung gefallen war, wollten eine Gruppe junger Kreativer die Liegenschaft in ein Zentrum für Alternativkultur umnutzen. Die Initianten und der Stadtrat konnten bei diesem Thema keine Einigung finden. 1987 wurde das Gebäude zugunsten von Parkplätzen abgebrochen. Als Folge davon entstand der heutige Gare de Lion.
Ein weiterer Platz, an dem in Wil Bier gebraut wurde lag in Bahnhofsnähe. In der technischen und industriellen Aufbruchstimmung gegen Ende des 19.Jahrhunderts wurde 1889 mit einer Million Franken Kapital die Aktienbrauerei Wil gegründet und ein repräsentatives Gebäude erstellt.



Zusammenlegungen
Die Investition machte sich nicht bezahlt. Der unternehmerische Erfolg wollte sich auch nach einer Reorganisation nicht einstellen. Der erste Weltkrieg wirkte sich zusätzlich ungünstig auf den Geschäftsgang aus. Schliesslich fusionierte sie mit der Löwenbräu Zürich, die den Betrieb in Wil einstellte. Der Schweizer Biermarkt wurde zunehmend von Grossbrauereien dominiert. Wo die Aktienbrauerei stand, decken sich heute Kunden in einem Grossverteiler mit Lebensmitteln ein.
Dass die Äbtestadt nach einer langen Tradition ab 1982 gänzlich ohne einheimisches Bier sein sollte, konnten einige Idealisten nicht akzeptieren, sie riefen 2004 das Thubobräu als lokal verankertes Erzeugnis ins Leben.
Sponsoring von Sportvereinen
Auch wenn es nicht in Wil gebraut wird, so gedeiht wenigstens deren Braugerste auf Wiler Boden. In Anlehnung an das bewährte PR-Motto `Tue Gutes und sprich darüber` könnte man bezüglich dem Wiler Thurbobräu festhalten: `Trinke Bier und tue Gutes`. Doch diese zweifelslos unzulässige Verkürzung wird dem Thema nicht gerecht. Ein Quäntchen Wahrheit steckt trotzdem darin. „Jedes Vorstandsmitglied erhältlich jährlich einen Betrag zugeteilt, den es einem Verein seiner Wahl zukommen lässt“, erzählt Simon Lumpert. Der Unternehmer im Finanzbereich ist Präsident der Organisation IdéeWil, die hinter Thurbobräu steht. „Dadurch werden jährlich 8000.- Franken verteilt.“ Die Begünstigten sind in der Regel Wiler Sportvereine.