Herr Wöckel, der Krieg in der Ukraine sowie die Energieknappheit sind derzeit ein Dauerthema. Die gravierenden Einschränkungen im Alltag infolge Covid-Pandemie liegen noch nicht lange zurück. Führen erhöhte gesellschaftliche Belastungen erfahrungsmäss zu vermehrten Anfragen nach ambulanten und stationären Behandlungen in der Klinik Littenheid?

PD Dr. med. Lars Wöckel: Seit einigen Jahren erleben wir eine kontinuierlich hohe Nachfrage nach unseren stationären und ambulanten Angeboten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie. Die COVID-Krise hat zusätzlich zu einer Zunahme von Notfallzuweisungen in unseren stationären Bereich geführt. Auch an unseren ambulanten Standorten ist eine solche Zunahme zu sehen. Besonders sind Kinder, Jugendliche und Familien betroffen, die bereits vorher unter hohen Belastungen zu leiden hatten. Der Krieg in der Ukraine und die Energieknappheit sowie die damit verknüpften Einschränkungen führen natürlich zu weiteren Belastungen. Die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine betreffen vor allem Kinder und Jugendliche, die dort leben. Wir haben aber auch schon Anfragen für die Behandlung psychisch erkrankter Kinder und Jugendlicher aus der Ukraine erhalten, wenngleich es sich bisher um nur wenige Fälle handelt.

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PD Dr. med. Lars Wöckel, Chefarzt Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung. (Foto: Adrian Zeller) 

Die Clienia-Klinik setzt einen Schwerpunkt im Bereich Kinder- und Jugendpsychiatrie, weshalb ist die Nachfrage nach entsprechenden Behandlungsplätzen gestiegen?

Seit Mitte der 80er Jahre wird in der Schweiz in regelmässigen Abständen eine breit angelegte repräsentative Studie vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) mit Beteiligung der meisten Kantone durchgeführt (Health Behaviour in School-aged Children-Study). Hierbei werden verschiedene Aspekte des Gesundheitsverhaltens und Lebensstile von Schulkindern des 5. bis 9. Schuljahres erfragt. Es zeigt sich, dass in den letzten 20 Jahren der Anteil der Jugendlichen mit körperlichen und psychischen Beschwerden zugenommen hat. In der Studie werden verschiedene Risikofaktoren benannt, die mit einer Zunahme der Beschwerden in Zusammenhang stehen können. Dazu gehört eine zunehmende Belastung im nahen Unterstützungsumfeld der Jugendlichen (z.B. der Eltern), eine Abnahme gesundheitsrelevanter Verhaltensweisen und ein erhöhtes Stressempfinden in der Schule. Darüber hinaus gibt es demografische Effekte und es besteht eine zunehmende Akzeptanz in der Bevölkerung kinder- und jugendpsychiatrische Behandlungsangebote in Anspruch zu nehmen.

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Wie viele ambulante und stationäre Behandlungsplätze bieten Sie insgesamt an, für Minderjährige und für Erwachsene?

Unsere Klinik bietet 253 stationäre Behandlungsplätze an, davon sind 64 Plätze für Kinder und Jugendliche vorgesehen. Der grössere Teil unserer stationären Kapazitäten steht Patientinnen und Patienten ausserhalb des Kantons Thurgau zur Verfügung. An unseren ambulanten Standorten behandeln wir ca. 1000 Kinder und Jugendliche / Jahr.

Sie haben Behandlungsverträge mit verschiedenen Kantonen, mit welchen?

Unsere Klinik hat insgesamt mit 12 Kantonen einen Behandlungsvertrag. Für die Kantone Thurgau, die beiden Appenzell, Schwyz, Zug und Uri stehen alle Angebote in Littenheid zur Verfügung. Die Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie hat ausserdem noch mit Schaffhausen, Glarus, Graubünden, Zürich und dem Fürstentum Liechtenstein einen Behandlungsvertrag. Die Erwachsenenpsychiatrie und –psychotherapie hat darüber hinaus noch für spezifische Angebote jeweils einen Behandlungsvertrag mit Luzern und St. Gallen.

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Welche mittel- und längerfristigen Ausbauschritte planen Sie in der Klinik, braucht es vermehrte Therapieplätze?

Aufgrund der hohen Nachfrage im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie hat die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich für die Klinik Littenheid weitere 27 stationäre kinder- und jugendpsychiatrische Behandlungsplätze im Kanton Zürich genehmigt. Im nächsten Jahr werden wir mit den Bauarbeiten für eine Klinik am Standort Oetwil am See im Kanton Zürich beginnen. Wir gehen davon aus, dass wir die neue Klinik gegen Ende 2024 in Betrieb nehmen können. Am Standort Littenheid planen wir ebenfalls einen Neubau für die Kinder- und Jugendpsychiatrie. Das wird voraussichtlich ab 2026 umgesetzt werden können. Das bisherige Gebäude wird aus Altersgründen rückgebaut werden.