In diesem Augenblick hat sie nur einen Gedanken: «Jetzt sterbe ich». Sie ist sich sicher. Genau jetzt nach der Geburt ihrer Tochter Regula wird sie sterben. Und das obwohl die Geburt bis zu diesem Zeitpunkt problemlos verlief und das Neugeborene vollkommen gesund auf die Welt kam. Denn die sogenannte dritte Geburtsphase – also die Zeit der Nachgeburt, wenn es zur Ausstossung der Plazenta mit der Nabelschnur und den Eihäuten nicht kommt – hat bei der jungen Mama nicht stattgefunden. Und deshalb mussten Geburtshelfer eingreifen und sie bekommt eine Narkose. Alles fühlt sich so fremd an. Sie weiss nicht, was mit ihr passiert. Durch die Geburt hat sie  viel Blut verloren.

Und plötzlich gerät sie in einen Tunnel, der die junge Frau wie in einer Spirale nach vorne schleudert. Sie hat grosse Angst – sie merkt, dass sie gefangen ist und nicht aus dieser Situation herausfindet. Ein Lebensfilm taucht in diesem Moment auf. In diesem wird ihr Leben rückwärts durchlaufen. Wunderschöne Momente, herausfordernde und hässliche Lebenssequenzen gehen an ihr vorbei. Alles geht sehr schnell. In diesem Film erscheinen nur Assoziationen und Gefühle. Ihr wird aufgezeigt, in welchen Situationen sie aus Liebe gehandelt hat und in welchen nicht. «Ich weiss ganz genau, dass ich jeden Augenblick sterbe», sagt die frischgebackene Mama zu sich selbst. Die junge Frau kommt dem Ende des Tunnels immer näher. Und ganz plötzlich sieht sie ein weisses, gleissendes Licht und er ist da – dieser Moment. Der Moment der inneren Ruhe. Des Friedens. Stille. Wärme. Glücks. Sie kämpft nicht mehr dagegen an. Sie lässt ohne Angst und Sorgen los. «Ich lasse es jetzt einfach geschehen». Ein befreiendes Gefühl durchdringt sie. Das Licht erfüllt sie mit unendlicher Liebe und Glückseeligkeit. Gefühle, die sie bisher noch nie in ihrem Leben gespürt hatte. Plötzlich hört sie ihre eigene Stimme und zuckt zusammen. «Ich kann doch jetzt nicht gehen.» Sie denkt an ihre neugeborene Tochter. «Ich werde noch gebraucht», sagt sie zu sich selbst. Sie hört eine fremde Stimme, die ihr sagt, dass die Zeit für sie noch nicht gekommen sei. Kaum waren diese Worte ausgesprochen, schleuderte es sie zurück durch den Tunnel. 

Arbeiten mit dem Seelencode

Im Alter von 24 Jahren hat Silvia Scherzinger aus Henau diese Nahtoderfahrung gemacht. Eine Erfahrung, die sie seither tief in ihrem Herzen trägt. «Natürlich werde ich dieses Ereignis nie wieder vergessen», erzählt Scherzinger an diesem warmen Sommertag in ihrem Garten in Henau. «Aber ich habe gelernt mit dieser Erfahrung umzugehen», sagt sie. Sie nimmt die Holzkugel vom Glaskrug weg und füllt zwei Trinkgläser mit Wasser. Die dreifache Mutter musste die Nahtoderfahrung in den vergangenen Jahrzehnten verarbeiten. Sie nippt an ihrem Glas. Nimmt ein paar kleine Schlücke vom Wasser. Denn die ausgebildete Pflegefachfrau hat sich irgendwann mit ganzheitlicher Heilmethodik sowie Medialität und psychologischer Astrologie beschäftigt. Mittlerweile hat sie mit ihrem Ehemann eine eigene Praxis gegründet. «Vita Balance» heisst diese und begleitet Menschen, die sich in einer schweren Situation befinden – sei das geistig, körperlich oder seelisch. So arbeiten die beiden mit dem sogenannten Seelencode. Ziel des Lebens ist, dass der Mensch die Seelenbestimmung findet und Selbstliebe spürt – hierfür muss er sich aber von alten Seelenprägungen befreien, die ihn an der Entfaltung seines Seelenpotenzials hindern. «Die Seelenprägung besteht – wie bei mir auch – aus Erfahrungen mit einem abgespeicherten unbewussten Gefühl», erklärt Scherzinger, «aber auch aus ungelösten Ahnenthemen und Glaubensmustern». Der Seelencode ermögliche es, hemmende Seelenprägungen aufzudecken. Sie ist davon überzeugt, weil sie es selbst erfahren hat und diese auflösen konnte. «Mein Nahtoderlebnis war nicht meine einzige übersinnliche Erfahrung, die ich gemacht habe», betont sie. Bereits in ihrer Kindheit hat sie Ähnliches erlebt.

Noch eine ausserkörperliche Erfahrung

Rückblick in Scherzingers Kindheit: Die Fünfjährige muss sich die Mandeln operieren lassen. Die Ärzte erklären dem Mädchen, dass sie eine Narkose bekommt und während der ganzen Operation schlafen wird. Sie nickt zum Verständnis. Als es dann soweit ist und sie die Narkose bekommt, merkt sie, dass sie nicht wirklich schläft. Sie ist wach. Bei vollem Bewusstsein. Das Mädchen hört, was der Chirurg zum Operationsteam sagt. Sie spürt wie er ihren Unter- und Oberkiefer auseinander zieht und dann vorsichtig die Operationsinstrumente in ihren Rachen schiebt. In diesem Moment möchte sie schreien. Sich bemerkbar machen. Doch sie kann nicht. Sie fühlt sich wie eine Gefangene. Eine panische Angst breitet sich aus. Diese Situation fühlt sich für das kleine Mädchen wie ein halbe Ewigkeit. Und plötzlich merkt sie, dass sie unter der Decke schwebt. Sie sieht Köpfe der anwesenden Personen von oben und kann die ganze Operation mitverfolgen.

«Diese ausserkörperliche Erfahrung hat mich extrem geprägt», sagt Scherzinger. Vor allem, weil ihr niemand geglaubt hat, dass sie ausserhalb ihres Körpers die Operation gesehen hat. Der zuständige Arzt habe ihr kein Wort geglaubt. Noch heute erinnert sich die Henauerin, wie dieser sie sogar ausgelacht hat. Auch ihre Eltern haben sie nicht ernstgenommen. «Diese Reaktionen haben mich sehr irritiert», erzählt Scherzinger aus ihren Kindheitserfahrungen. Offen. Mit allen Details. «Einerseits wusste ich, was ich gesehen habe», erzählt sie weiter, «andererseits habe ich den Erwachsenen geglaubt». Das alles hatte einen grossen Einfluss auf sie, ihr Leben, ihre Wahrnehmung und ihr Bewusstsein. Sie habe ihren eigenen Wahrnehmungen mehr vertraut. «Ein Grund, warum ich dann meine spätere Nahtoderfahrung zuerst für mich behalten habe.»

Die Erlösung

Scherzinger, die diplomierte Pflegefachfrau, hat mit einer technischen Operationsassistentin Nachtwache. Während dieser Nacht kommt Scherzinger mit der Arbeitskollegin ins Gespräch. Sie reden über Gott und die Welt. Über ihre Familie. Über den beruflichen Werdegang jeder Einzelnen. Über ihre Erfahrungen. Plötzlich erinnert sich Scherzinger wieder an das Ereignis während der Mandeloperation. «Ist es üblich, dass man bei einer Mandeloperation wie auf einem Zahnarztstuhl sitzt», fragt Scherzinger anschliessend. Die Frau bejaht die Frage. In diesem Moment fällt Scherzinger eine schwere Last, die sie jahrzehntelang mit sich herumgetragen hat, von der Schulter. Sie fühlt sich im gleichen Augenblick erleichtert, befreit, glücklich und zufrieden. «Endlich habe ich die Bestätigung, dass ich das wirklich als Kind erlebt habe», denkt sie sich.

«Nach meiner Nahtoderfahrung war ich unglaublich müde», erzählt Scherzinger heute. Müde von den Ereignissen, der Geburt und nicht zuletzt vom Leben. Sie sei lebensmüde gewesen. Ihre Augen werden feucht. Sie sei immer ein lebenslustiger Mensch gewesen. «Zu dieser Zeit war ich auch depressiv», gibt sie heute offen zu. Während der ganzen Wochenbettzeit nach der Geburt ihrer Tochter sei sie «neben der Spur gewesen. Denn nach dieser Erfahrung habe sie sich imm er wieder nach dieser unendlichen Liebe und Glückseeligkeit gesehnt. Ihr Leben hat sich seit dem verändert. «So nahm ich plötzlich die Natur anders wahr – vor allem die Farben sah ich viel itensiver», berichtet sie. Sie sei aber viel sensibler und feinfühliger geworden. Mit Streit konnte sie plötzlich nicht mehr so leicht umgehen. «Und Filme mit Gewaltszenen konnte ich schon gar nicht mehr sehen.»

Als sie realisierte, dass sie mit fünf Jahren eine ausserkörperliche Erfahrung und mit 24 Jahren eine Nahtoderfahrung gemacht hat, hat sie sich intensiver mit diesen Themen auseinandergesetzt und sich weitergebildet. Vor allem Bücher und Seminare halfen ihr, das Geschehene zu verstehen und ihre Sensitivität und Medialität zu schulen. Angst habe sie heute vor dem Sterben nicht mehr . «Weil ich jetzt weiss, dass es etwas sehr Schönes ist», sagt Scherzinger.