Auguste Bolte
Gross wird die Frau – das Fräulein – als Person angekündigt, die weiss, was sie will. Wichtig ist vor allem auch, dass sich alle Erklärungen möglichst reimen. Sie steht vor einem fast unlösbaren Fall. Da gehen zehn Personen – 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10, immer wieder nachgezählt – in die genau gleiche Richtung. Was da wohl los ist? Sofort hinterher! Das macht Auguste denn auch. Doch schon bald kommt es zum Dilemma, denn die 10 Personen teilen sich in zwei Fünfergruppen. Wem nun nachfolgen? Auguste entscheidet sich fürs Pendeln, was sich zu einer sportlichen Höchstleistung entwickelt. Und weil sich die Gruppen immer mal wieder aufteilen, wird auch das Gerenne immer schneller und schwieriger.
Ballast abwerfen
Irgendwann stellt Auguste Bolte fest, dass es sich mit weniger Ballast – sprich Kleidern – viel besser laufen, ja rennen lässt. Und so geht sie immer leichter bekleidet durch die Strassen. Zum Glück kann sie eine Fünfergruppe dann doch noch erreichen und erspäht in letzter Minute, wie eine Person ins Haus Nr. 5 geht. Dazu erklingt Beethovens 5. Symphonie, sinnträchtig „Schicksalssymphonie“ genannt, und verdeutlicht die Zahl zusätzlich. Doch da beginnen erst die richtigen Schwierigkeiten. Das Haus ist falsch, die Person ist falsch – ein einziges Chaos. Und auf aberwitzige Weise teilen sich die Personen immer weiter auf, es gibt ein richtiges Verdoppelungsspiel, in Oberuzwil durch einen aufmerksamen Mann lautstark nachgerechnet.
Tiefere Hintergründe zu Auguste Bolte zeigt der folgende Artikel auf.
http://culturmag.de/rubriken/buecher/kurt-schwitters-auguste-bolte-eine-doktorarbeit-mit-fussnoten/77373
Im Literaturatlas sieht das dann so aus:
http://www.literaturatlas.de/~lb2/auguste_bolte.htm
Das ganze Verwirrspiel endet mit der Musik von Robert Stolz – aus der Operette „Die lustigen Weiber von Wien“.
Nur was jetzt wirklich los war, das hat das Publikum bis zum Schluss nie erfahren. Es kam einem fast wie ein irrwitziger Traum vor, der einen in einem Alptraum gefangen hält, bis man - zum–Glück! – wieder unversehrt aufwacht.
Volker Ranisch
Es ist eine Riesenleistung, während ungefähr fünf Viertelstunden immer bei dieser Figur zu bleiben, die unzähligen Wiederholungen und absurden Wendungen in der Geschichte immer mitzumachen und dabei auch Mimik und Redetempo immer den imaginären Vorgängen anzupassen. Mal rollt Volker Ranisch die Augen, mal dreht er sich um die eigene Achse, mal krümmt er sich – bleibt aber immer bei Fräulein Bolte, die einfach unbedingt erfahren möchte, was denn wohl dort los sein könnte, wo sich all diese Menschen hinbewegen. Ranisch hat das Stück nach eigenen Angaben noch angereichert mit Ausflügen in die Zahlenmystik und in musikalische Felder. Hinter dem Ganzen steht aber auch ein ganzes Ensemble, nur auf der Bühne, da steht der Schauspieler allein.
In seinem Köfferchen findet er zwei Mal einen Eierkarton mit zehn Eiern. Sie verdeutlichen den Vorgang der auf der Strasse dahineilenden Menschen. Plötzlich fliegen die Eier auf den Boden, hüpfen auf und ab – aha, es sind Gummi-Eier. Doch eines ist aus „Fleisch und Blut“, wird vom Darsteller genüsslich zerdrückt und ausgequetscht. Ein anderes – eines aus dem zweiten Karton – entpuppt sich als hartes Ei. Das will natürlich gegessen sein…
Kurt Schwitters (1887 – 1948)
So wahnsinnig modern, wie es den Anschein machen könnte, ist das Stück gar nicht. Sein Schöpfer, Kurt Schwitters, schrieb es 1923. Ursprünglich war er Werbegrafiker. Er durchlebte als deutscher Soldat die Schrecken des 1.Weltkriegs. Von da an waren ihm alle Autoritäten zuwider. Doch dann kamen die Nazis auf. Schwitters fiel mit schrägen Bauten – Merz-Bauten nannte er sie, aus Abfall und scheinbar planlos zusammengeschustert – und noch schrägeren Texten auf. Er geriet in den Sog der sogenannt „Entarteten Kunst“, was ihn 1937 zur Flucht nach Norwegen bewog. Doch als die Nazis auch dieses Land überfielen, schien es ihm sicherer, nach England zu fliehen.
Er schloss mit vielen Anhängern des Dadaismus und der modernen Malerei Freundschaft, so beispielsweise mit Paul Klee oder auch Hans Arp. Im Exil entstanden – gerade umgekehrt als bei vielen malenden Künstlern und Künstlerinnen – auch viele gegenständliche Bilder und Zeichnungen. Er liebte aber auch das Wort und Zahlenspiele. Vermutlich hätte er seine helle Freude an der binären Uhr am Bahnhof St.Gallen….
Heute erinnern in Deutschland drei Schulen/Gymnasien – Hannover, Berlin und Düsseldorf - an den zu seiner Zeit sehr berühmten Künstler.
Wer sich für Kurt Schwitters - den Schöpfer der Geschichte von Auguste Bolte - näher interessiert, findet in der folgenden Biografie viele interessante Details.
http://www.schwitters-stiftung.de/bio-ks2.html
DIE ZEIT widmete Schwitters Werk unter dem Titel DADA FÜR DIE KRISE einen spannenden Artikel.
www.schwitters-stiftung.de/bio-ks.html
Hier kann ein Originaldokument mit der Stimme von Kurt Schwitters nachgehört werden.
Die nächsten Anlässe der Donnerstags-Gesellschaft Oberuzwil können auf der Homepage nachgelesen werden.
https://www.donnerstagsgesellschaft.ch/