Die Uzwiler Firma Bühler ist weltweit an über 140 Standorten präsent. Dies war vor zehn Jahren Anlass, auch die Berufsbildung in Zusammenarbeit mit dem Berufs- und Weiterbildungszentrum Wil-Uzwil (BZWU) international mobil zu gestalten. Während drei bis sechs Monaten können Lernende ihre Ausbildung an einem Bühler-Standort ausserhalb der Schweiz fortsetzen. An der Jubiläumsfeier zogen die Ausbildungsverantwortlichen Bilanz und befassten sich mit den Zukunftsaussichten. Sie liessen auch junge Berufsleute über ihre Auslanderfahrungen berichten.Bühler setzt seit über 100 Jahren auf eine fundierte Berufsbildung. Die Basis bildet das duale Bildungssystem: der praktische Teil wird im Betrieb vermittelt, der theoretische in der Berufsschule. An diesem Prinzip wurde auch mit der vor zehn Jahren eingeführten Pionierleistung nicht gerüttelt. Im heute weltweit tätigen Unternehmen wurde es jungen Berufsleuten möglich gemacht, einen Teil ihrer Ausbildung fern der Heimat zu absolvieren.
Classroom unlimited
Die praktische Ausbildung kann ohne allzu grosse Probleme statt in Uzwil auch in einer Bühler-Niederlassung in China, Indien, den USA oder anderswo erfolgen. Ein grösseres Problem aber war es, einen Unterbruch der schulischen Ausbildung zu vermeiden. Die Lösung dieses Problems ermöglichten die Fortschritte in der Elektronik und der Datenübertragung. Der Unterricht in der Berufsschule Uzwil lässt sich simultan in alle Welt übertragen, und ein Schulraum in einem anderen Land oder Kontinent kann mit dem Schulzimmer in Uzwil so verbunden werden, dass sich Lehrer und Lernende so miteinander unterhalten können, wie wenn sie sich im gleichen Raum aufhalten würden. Dieser classroom unlimited – dieses grenzenlose Klassenzimmer – erlaubte eine internationale Mobilität der Berufsausbildung.
Neue Lernformen im Unterricht
Christof Oswald ist Personalchef der Firma Bühler und auch verantwortlich für das Lehrlingswesen. Weltweit werden 600 Lernende ausgebildet, 300 davon in der Schweiz. Seit 102 Jahren bilde Bühler Berufsleute aus. 8000 seien es in dieser Zeit gewesen, 1000 arbeiteten heute noch in der Firma, führte Christof Oswald in seinem Rückblick aus. Im Blick auf die Zukunft stellte er fest, dass die rasanten technischen und gesellschaftlichen Veränderungen methodisch-didaktische Neuausrichtungen verlangten. Frontalunterricht in der Schule sei nicht mehr zeitgemäss. Die Lernenden müssten das Grundwissen selber zusammentragen und sich erarbeiten. Der Unterricht müsse darauf aufbauen.
Drei Neuerungen bei Bühler
Bühler hat, wie Christof Oswald ausführte, der veränderten Situation mit drei Neuerungen Rechnung getragen. Alle Lernenden bekämen im ersten Lehrjahr die Möglichkeit, in verschiedenen anderen Berufen des Lehrbetriebs zu experimentieren. Ausserdem würden Spitzentalente speziell gefördert. Und schliesslich sei die Möglichkeit geschaffen worden, einen Teil der Lehre im Ausland zu absolvieren. Vorgesehen sei dies für einen Drittel der Lernenden. Die Interessenten müssten sich dafür bewerben und durch gute Leistungen qualifizieren.
Grosse Skepsis war zu überwinden
«Das geht doch nicht», sei ihm bezüglich des Ausland-Projektes von mancher Seite entgegnet worden. Aber dank der Begeisterung des Berufsbildungsteams und von Lukas Reichle, des damaligen Rektors der Berufsschule Uzwil, habe das noch nicht in allen Teilen ausgereifte Vorhaben gestartet werden können, erinnert sich Christof Oswald. Und was im Jahr 2008 mit einer Idee, fünf Lernenden – zwei Polymechanikern und drei Anlagen- und Apparatebauern – und dem Bühler-Standort in China begonnen habe, sei heute ein weltweit einzigartiges Erfolgsmodell.
Es ermöglicht jungen Berufstätigen, an mittlerweile neun Bühler-Standorten in sieben Ländern wertvolle Erfahrungen zu sammeln und diese im späteren Berufsalltag einzusetzen. Die Lernenden erfahren verschiedene Kulturen und Sprachen aus erster Hand. Sie stärken ihre beruflichen und persönlichen Kompetenzen, erweitern ihren Horizont und werden damit fit für die Arbeit in einem internationalen Arbeitsumfeld.
Meilenstein für das Unternehmen
Stefan Scheiber, der CEO der Firma Bühler, dankte allen Beteiligten am Projekt, das er als Meilenstein für das Unternehmen bezeichnete. Bühler sei eine Wissensfirma. Wissen müsse transportiert, aber auch erneuert werden. Die Digitalisierung mit ihren Gefahren und Chancen verlange die Bereitschaft zur Veränderung. Grund- und Weiterbildung gehöre zum Kern der Firma. Ausserdem verfüge das Unternehmen seit den Vorvätern über das Gen der Internationalisierung. In Anbetracht der Tatsache, dass nur zwei Prozent der Produktion in der Schweiz abgesetzt werde, sei die internationale Ausrichtung lebenswichtig. Bühler-Mitarbeiter müssten andere Kulturen, andere Sprachen und andere Bedürfnisse verstehen. In der Geschäftsleitung könnten nur Personen mit internationaler Erfahrung mitwirken. Deshalb sei die Internationalität auch auf die Lehrlingsausbildung ausgeweitet worden.
Musterprojekt mit Zukunftscharakter
Marco Frauchiger, Rektor des BZWU, blickte auf die gravierenden Veränderungen innerhalb der letzten zehn Jahre zurück und leitete daraus die Herausforderungen für die Berufsschule ab. Bei gleichbleibenden Kernaufgaben der Bildung – Erziehung zur Lebenstüchtigkeit und Befähigung, in der Gesellschaft und Wirtschaft zu bestehen – würden an die neue Generation andere Erwartungen gestellt. Dazu gehörten unter anderen interkulturelle Kompetenzen, Kommunikationskompetenzen und Problemlösungskompetenzen. In dieser Situation stelle das Auslandmodell der Firma Bühler ein Musterprojekt mit Zukunftscharakter dar.
Erfahrungen in den USA und in Indien
Zwei junge Berufsleute informierten kurz über ihre Ausland-Erfahrungen im Jahre 2015. Sabrina Wuersch hat drei Monate in Minneapolis (USA) verbracht. Moritz Waldschock war zwei Monate in Bangalore (Indien). Beide absolvieren nun ein Studium zum Wirtschaftsingenieur an der Fachhochschule in St. Gallen.
Sabrina Wuersch hat Polymechanikerin gelernt und sich gleichzeitig auf die Berufsmaturität vorbereitet. Den Berufsschulunterricht hat sie in den USA über den Classroom unlimited absolvieren können. Für die Maturitätsvorbereitung ist sie von einer Klassenkameradin unterstützt worden. Den Aufenthalt in Minneapolis hat sie als sehr positiv und bereichernd erlebt. Nebenbei habe sie ihr Englisch verbessert und das First-Examen bestanden. Ausserdem habe sie Freundschaften geschlossen, die sie noch immer pflege.
Einen Kulturschock habe er bei der Ankunft in Bangalore erlebt, stellte der Automatiker Moritz Waldschock fest. Inder müssten auf vieles, was bei uns zur Selbstverständlichkeit geworden ist, verzichten. Sein Aufenthalt dauerte nur zwei Monate. Davon fielen fünf Wochen in die Sommerferien. Damit verpasste er den Schulunterricht nur während drei Wochen, was gut nachzuarbeiten gewesen sei. Für ihn gab es keinen Unterricht über das unbegrenzte Klassenzimmer. In guter Erinnerung sind ihm viele Ausflüge an den Wochenenden geblieben, einer davon zum Taj Mahal.















