By Roland P. Poschung
Ein unvergesslicher Moment: Captain Kistler sass ein letztes Mal konzentriert im Cockpit eines A330. Das war am 13. April 2017. Vor seiner Pensionierung hatte es sich der CEO der Edelweiss Air nicht nehmen lassen, nochmals selber einen Airbus zu steuern. Von den Malediven kommend landete er den grossen Vogel gewohnt souverän auf dem Flughafen in Zürich.
Seine Ehefrau Christina durfte mitfliegen. Stolz blickte sie hinter ihm auf die Landebahn, wo Feuerwehrfahrzeuge zum feierlichen Abspritzen bereitstanden. Charly Kistler sagt rückblickend: «Es war mir ein Wunsch, meine Gattin bei diesem letzten Flug dabei zu haben. Es sollte ein Dankeschön für die wertvolle 43-jährige Beziehung und Unterstützung, für die Erziehung der Kinder Oliver und Marian sowie für die Sorge um das intakte Familienleben sein.»
Sich gegenseitig freiräume lassen
Nach einer Feier mit der Edelweiss-Besatzung und Freunden zog sich Kistler zurück. Aber nichts war mit Beine hochlagern und Faulenzen. Kistler wusste schon früh, was er seine dritte Lebensphase mit Engagement und Freude anpacken wollte. Durch die Pensionierung galt es zuerst das intensivere Zusammenleben mit der Ehefrau harmonisch zu gestalten. «Wichtig ist, dass wir uns gegenseitig Freiräume lassen. Mein Mann hat inzwischen auch mehr «Musikgehör» für meine Anliegen. Schön ist, dass wir länger schlafen können und nicht mehr vom Flugplan abhängig sind. Zudem liegt ein Apéro bereits um 18 Uhr drin, wo wir in Ruhe den Tag Revue passieren lassen können und Neues absprechen», sagt Christina Kistler. Und der «Hausmann» meint: «Ich geniesse nun mein Leben ohne Flugplan und Agenda. Dabei habe ich Freiwilligenarbeit bewusst reduziert, um vermehrt Zeit für meine Frau, Kinder und Enkel zu haben. Vermissen tue ich nicht das Pilotieren von Linienmaschinen, jedoch die Kontakte zu den Menschen von der Arbeit.»
Noch zu seiner Aktivzeit bei Linienflügen und im Management baute Charly Kistler sich ein erstes Flächenflugzeug. Die kleine, zweiplätzige Kitfox3 von Denny, eine US-Firma, die für ihren Bausatz bekannt war, heute aber nicht mehr existiert, hatte einen 80-PS-Motor und konnte während 150 Minuten in der Luft sein. Der Erstflug war im Jahr 2000. «Später baute ich mir einen Kleinhubschrauber, ein CH7-Modell vom italienischen Unternehmen Helisport aus Turin, welcher maximal 150 Kilogramm Zuladung hat und mit vollem Tank 140 Minuten in der Luft sein kann. Dieser Erstflug war im Jahr 2010. Um Platz für mein nächstes «Baby» zu schaffen, verkaufte ich die Kitfox3.» Vor wenigen Monaten wurde eine grosse Paketladung aus den USA nach Fehraltorf geliefert, wo Kistler mit seiner Frau Christina und der bald fünfjährigen Hündin Ivy mittlerweile wohnt. In der umfunktionierten Garage war alles für den Bausatz vom zweiplätzigen Flächenflugzeug RV12 von Vans Aircraft vorbereitet. «Diese Maschine wird einst 100 PS liefern, mehr Zuladung haben und eine Flugzeit von fünf Stunden haben», so Kistler. Und damit will er in Europa herumfliegen.
Den Moment geniessen
Mit dem Älterwerden und seiner Pensionierung in einer Leaderposition hat sich Kistler früh auseinandergesetzt: «Schon neben dem Job waren mir Hobbies als Ausgleich und als Motivation zum angespannten Berufsleben wichtig. Mit der Informatik und dem Flugzeugbau habe ich mich intensiv befasst und wurde dadurch Bau- und Testflugberater sowie Koordinator für Helikopter bei der Experimental Aviation of Switzerland (EAS). Dadurch halte ich Kontakt zu Gleichgesinnten und bin so stets auf dem neusten technischen Stand.» Das Älterwerden ist für Kistler eine Tatsache und eine Gerechtigkeit für alle: «Jedes Jahr werden wir ein Jahr älter und für uns alle wird eines Tages Schluss sein. Es ist nicht wichtig, was wir haben, sondern, was wir tun. Glücklich sein können wir nur im Augenblick. Wir sollten darum jeden Tag geniessen und nur das machen, was uns und anderen Freude bereitet.»
«Eigentlich ist der Mensch ja nicht für die Lüfte geschaffen. Aber die heutige Technik macht es möglich, dass täglich Millionen von Menschen in Flugzeuge steigen. Angst vor dem Fliegen hatte ich nie, aber Respekt.» Teamarbeit sei mehr wert als das Einzelkämpfertum. Klare Informationen, ein offener Austausch, umfassende Aufmerksamkeit, Disziplin, Wachsamkeit und Verantwortung seien entscheidend, um in der Fliegerei Erfolg zu haben und sicher starten und landen zu können.
Schiebefenster für bessere Fotografien
Praktisch in jeder freien Minute sieht man Kistler gegenwärtig bei der Aufbauarbeit. Der Bausatz umfasst ein Regiebuch, wo die Bausatzelemente Schritt für Schritt markiert und nummeriert sind. Schon nach wenigen Wochen waren erste Verbindungsteile fast fertiggestellt. An warmen Tagen lässt es sich Kistler jedoch nicht nehmen, die Natur mit dem Heli CH7 aus der Vogelperspektive zu bestaunen. In einem VW-Transporter, der nur wenige Meter neben seinem Haus unter einem Scheunendach steht, ist der Helikopter fix verstaut und transportfähig. Wenige Kilometer von seinem Wohnort entfernt befindet sich der kleine Flugplatz Speck, von wo gestartet und gelandet werden kann. «Es ist für mich ein Privileg, dass ich gesund bin, mich meinem wöchentlichen Powerwalking widmen und noch immer fliegen sowie die 42 Schweizer Gebirgslandeplätze auskundschaften darf. Einige dieser Helikopterflüge halte ich detailliert auf meiner selbstkreierten Homepage mit Fotos und Kommentaren fest und teile sie mit meinen Followern», sagt Kistler, der selber schon über 1380 Gebirgslandungen absolviert hat. Er will nächstens ein kleines Schiebefenster im CH7 einbauen, um Spiegelungen während dem Fotografieren zu vermeiden und eine bessere Qualität von Aufnahmen sicherzustellen.
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Aufstieg: Vom Fallschirmspringer zum Edelweiss-CEO
Die Karriere in der Fliegerei nahm für Karl «Charly» Kistler ihren Anfang im Modellflugzeugbau. Er lernte Elektromonteur und fand Freude am Fallschirmspringen. «Körperliche und psychische Herausforderungen haben mich immer fasziniert. Meinen Erstabsprung machte ich in Ecuvillens, bald darauf folgte die Fliegerische Vorschulung (FVS, heute Sphair). Danach absolvierte ich 1972 die Fallschirmgrenadier-Rekrutenschule in Losone. Diese anspruchsvolle Ausbildung entpuppte sich für mich als erste Kaderschule», sagt Kistler, der danach die Pilotenlizenz auf Sportflugzeugen erlangte. 1978 wurde er Fluglehrer und begann die Ausbildung zum Berufspiloten. Zwei Jahre später wurde er bei Crossair Captain, Instruktor und Prüfungsexperte beim Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL). Während zehn Jahren engagierte sich Kistler im Auftrag der Balair in Jerusalem. Der Einsatz für die United Nations (UN) als Delegationsleiter und Chefpilot zeigte sich als Herausforderung: «Mit einer Fokker 27, damals noch ohne GPS, musste man alle 14 Tage die UNO-Beobachter im Sinai ersetzen. Im Gegenlicht über der Wüste zu fliegen, war nicht einfach, geschweige denn, den Flugplatz dort zu finden. Zu Beginn musste man einen Überflug machen, um sicher zu sein, dass sich auf der Landebahn kein Kamel befindet.» Von 1996 bis 2001 wirkte Kistler beim Aufbau der Edelweiss Air mit. Er wurde zum Chefpiloten, Leiter Operation (COO) und Instruktor auf Airbus A320/A330 befördert. Ab 2002 bis August 2014 amtete er als Geschäftsführer (CEO). Am 13. April 2017 ging er in Pension. (ropo)