Am Vorabend des zweiten Weltkrieges beschlossen Politiker auf eidgenössischer Ebene, dass im Schweizer Volk der Widerstand gegen die braune Gehirnwäsche zu stärken sei. Dabei setzten sie auch auf die Leinwand als wirkungsvolles Instrument. In der Äbtestadt fanden die Zürcher Filmleute das passende Dekor für ihre Schlüsselproduktion.Dramatische Eingangsszenen
Helle Aufregung im Coiffeursalon Wiederkehr an der Wiler Marktgasse. Ein Kunde liest ein Flugblatt mit einer Schreckensnachricht vor: „Allgemeine Mobilmachung der Schweizerischen Armee für morgen Vormittag.“ Aufgeregt werden die Köpfe zusammengestreckt. Verzweifelt fragt ein dürrer Herr mit eingeseiftem Kinn: „Was muss man auch machen?! Was wird auch aus mir?!“
Die dramatischen Eingangsszenen für `Füsilier Wipf` wurden in einem Studio gedreht. Durch geschickten Zusammenschnitt mit den Aussenaufnahmen entsteht der Eindruck, sie würden in der Ladenpassage unweit des Hofes spielen. Aufnahmen über die Dächer der Altstadt unterstreichen den Eindruck.
Erste Garde des Schweizer Films
Damals sehr bekannte Charakterdarsteller wie Zarli Carigiet, Sigfrit Steiner, Alfred Rasser, Elsi Attenhofer, Lisa della Casa und Emil Hegetschwiler agierten vor der Kamera. Letzterer spielte den etwas knorrigen Inhaber des fiktiven Wiler Haarfachgeschäfts. Sein junger Gehilfe namens Reinhold Wipf, verkörpert von Paul Hubschmid, ist die Hauptfigur im Film. Mit diesem Auftritt schaffte der Aargauer seinen Durchbruch für die internationale Karriere.
Im Verlauf der Handlung entwickelt er sich vom etwas linkisch wirkenden und verweichlichten Jüngling zu einem bodenständigen Mann und senkrechten Schweizer. Für diesen Reifeschub sorgte sein Einsatz im Militär während der Grenzbesetzung von 1914-18 in verschiedenen Landesgegenden. Sein väterlicher Mentor war dabei sein Dienstkamerad Leu, gespielt von Heinrich Gretler.
Publikumsmagnet
Der Film mit dem vollständigen Titel `Füsilier Wipf. Aus der schweizerischen Grenzbesetzung 1914/1918` traf 1938 den Nerv der Zeit. Innerhalb eines Jahres hatte ihn jeder dritte Schweizer Einwohner gesehen. An der Landi 1939 wurde er zum Aushängeschild.
Angesichts der immer unverschämteren Drohgebärden der Braunhemden jenseits von Bodensee und Rhein, blickten viele Schweizerinnen und Schweizer sorgenvoll in Zukunft. `Füsilier Wipf` gab ihnen die Gewissheit, dass sich Widerstand lohnt.
Identität fördern
Um dem penetranten Herrenrasse- Geschwätz und dem zunehmenden Säbelrasseln etwas entgegenzusetzen, rief das nationale Parlament eine mentale Gegenbewegung ins Leben: die geistige Landesverteidigung. Sie sollte den Willen zur Selbstbestimmung, zur Wehrhaftigkeit sowie der Pflege der eigenen Werte und Bräuche in der Schweizer Bevölkerung fördern. Immerhin gab es damals in der Schweiz verschiedene Bewegungen, die Nazi-Propaganda betrieben. Beispielweise waren bei der `Nationalen Front` 750 Mitglieder eingetragen. Wie viele stille Sympathisanten die „Fröntler“ hatten, ist unbekannt. Historiker nehmen heute an, dass das totalitäre Gedankengut auch in bürgerlichen Parteien immer mehr Fuss fasste.
17 verurteilte Landesverräter
Einige Eidgenossen meldeten sich als Freiwillige zur SS. Und es wurden von Schweizern militärische Geheimnisse an Nazi-Deutschland verraten. 17 verurteilte Landesverräter wurden exekutiert. Der St. Galler Ernst S., der durch einen Film von Niklaus Meienberg besondere Bekanntheit erlangte, wurde am 11.11.1942 zwischen Oberuzwil und Jonschwil hingerichtet.
Verschiedene Gelehrte, Schriftsteller und Politiker waren ursprünglich die Initianten der sogenannten geistigen Landesverteidigung, die bis in den kalten Krieg aktiv war.
Bewegende Bilder
Als das Fernsehen noch unbekannt war, konnte man die Köpfe und die Herzen der Menschen mit Kinofilmen besonders wirkungsvoll erreichen. Starke Charaktere und eindrückliche Aufnahmen aus der Walliser Bergewelt sowie von den jurassischen Wäldern und den Tessiner Seen verfehlten ihre emotionale Wirkung in `Füsilier Wipf` nicht.
Gleichzeitig veranschaulichte das bis anhin beschauliche Leben in der kleinstädtischen Gemeinschaft die Schweizer Identität, die von der Wehrmacht akut bedroht schien. Am Wiler Goldenen Boden vor dem trutzig wirkenden Hof fanden die Zürcher Filmleute die ideale Kulisse um sie kameragerecht ins Bild zu setzen.
Eine in die Handlung eingeflochtene Liebesgeschichte steigerte die Wirkung des Films. Während Reinhold Wipf anfänglich mit der etwas schwärmerischen und unreifen Tochter seines Meisters verlobt ist, findet er im Finale in einer währschaften Bauerntochter (Lisa della Casa) seine grosse Liebe.
Schlüsselfilm
Mit der Produktion `Füsilier Wipf` wurde in den Schweizern Selbstvertrauen, Gemeinschaftssinn und Widerstandswillen gestärkt. Nach dem grossen Publikumserfolg produzierte die Praesens-Film 1941 die weiteren Werke `Landmann Stauffacher` sowie `Gilberte de Courgenay`, deren Botschaft in die gleiche Richtung zielt.
Sie alle gelten heute als Klassiker der Schweizer Filmgeschichte, Fachleute zählen `Füsilier Wipf` zu den Schlüsselfilmen der geistigen Landesverteidigung. Er gibt nachfolgenden Generationen einen Eindruck vom damaligen Zeitgeist. Noch immer wird er in Retrospektiven gezeigt, so etwa 2016 im Cinema Luna in Frauenfeld. Der Film ist auch als DVD im Handel erhältlich.
Bewährte Fachleute
In Frauenfeld ist beim Verlag Huber 1917 die Grundlage für das Filmdrehbuch erschienen. Autor der gleichnamigen Novelle war der Zürcher Schriftsteller und Gymnasiallehrer Robert Faesi (1883-1972.
Die Filmregie führte der aus Wien geflohene Jude Leopold Lindtberg, der als Regisseur am Zürcher Schauspielhaus wirkte. Als Co-Regisseur wurde Hermann Haller engagiert. Der Zürcher hatte seine theoretischen und praktischen Filmkenntnisse in Deutschland erworben. Er wirkte beispielsweise am bis heute bekannten Bergdrama `Weisse Hölle am Piz Palü` mit. Der bildstarke Stummfilm kam 1929 in die Kinos, wo er das Publikum in Massen anzog. Während der Nazizeit kehrte Haller in die Schweiz zurück.
Nach Kriegsende setzte er seine Filmkarriere in Deutschland fort und wirkte an Karl May- und Edgar Wallace-Verfilmungen mit. Haller wurde als erfahrener Experte technisch wenig versierten Regisseuren an die Seite gestellt. So dürfte er auch den kaum filmerfahrenen Lindtberg beratend unterstützt haben.










