Was soll heute auf den Teller kommen, Paella, Sushi, Frühlingsrollen, Kebap, Tortilla, Momo, Thaicurry, Falafel, Tapas? Das Gastronomieangebot in Wil wird zunehmend global, thailändisch, türkisch, tibetisch, chinesisch, mexikanisch, spanisch, tunesisch, italienisch.
Die Menüvielfalt ist sozusagen ein Spiegel der Gesellschaft, die zunehmend multikultureller wird. Selbst Grossverteiler haben ihr Sortiment mit türkischem Tee, Cevapcici-Fleischröllchen aus dem Balkan, chinesischen Reisnudeln und vielem mehr erweitert.
Begehrte Arbeitskräfte
Der Beginn dieser Entwicklung startete im Wirtschaftsaufschwung in der Nachkriegszeit. «Die Textil- und Maschinenindustrie, das Baugewerbe und die Landwirtschaft hatte bereits kurz nach Kriegsende mit der gezielten Anwerbung von Gastarbeitern begonnen», schreiben Verena Rothenbühler und Oliver Schneider, Autoren der Wiler Stadtchronik. Gemäss ihr stieg die ausländische Wohnbevölkerung in Wil von 570 im Jahr 1950 auf 2134 im Jahr 1970.
«Die mit Abstand grösste Bevölkerungsgruppe bildeten damals die Italienerinnen und Italiener», halten Rothenbühler und Schneider fest. Die intensive Zuwanderung betraf die ganze Schweiz. Die zunehmende Präsenz von Gastarbeitern aus Italien führten zu neuen kulturellen Einflüssen in der Schweizer Gesellschaft, die vormals wenig Kontakt mit Menschen aus anderen Ländern hatte. In den fünfziger Jahren öffnete beispielsweise in Zürich die erste Pizzeria in der Schweiz; heute flitzen die Pizzakuriere regelmässig durch Wil.
Begeisterung für den US-Lifestyle
Die Sozialwissenschaften kennen den Begriff «Akkulturation»: Wenn Angehörige unterschiedlicher Kulturen in Kontakt kommen, inspirieren sie sich gegenseitig. Folge davon ist eine Ausweitung des Speisen- und Getränkeangebots, der Kleidermode sowie des Wortschatzes.
Ein Beispiel dafür ist die Begeisterung für die USA nach dem 2.Welkrieg. Sie beeinflusste auch in der Schweiz den Musikgeschmack, sie brachte den Rock`n Roll, Western-Filme, die Hamburger, die Bazooka-Kaugummis, Coca-Cola und die Blue Jeans nach Europa.
Ein weiterer Grund für die zunehmende kulturelle Vielfalt ist der Tourismus, die Einwohner der Schweiz gehören zu den reisefreudigsten Völkern der Welt. Die wachsende Sympathie für griechischen Salat, Fruta di mare und Wan tan Suppe sind die Auswirkungen. Was man auf Elba, Fuerteventura oder Koh Samui geniessen gelernt hat, möchte man zuhause nicht missen. Und auch Flüchtlinge aus unterschiedlichsten Kulturkreisen haben ihre Ernährungsgewohnheiten nach Wil gebracht.
Die kulturelle Vielfalt findet auch auf dem Standesamt statt. Gemäss Statistik stammt bei jeder zweiten Eheschliessung in der Schweiz einer der Partner aus dem Ausland. Die Gesellschaft wird fortwährend multiethnischer.
Trend zur Ernährung to go
Forschende der Berliner Humbolt-Universität registrieren einen Mentalitätswandel in der mitteleuropäischen Bevölkerung in Richtung südlicher Lebensweise. Belege dafür finden sie etwa im Trend zur Verpflegen unterwegs: Pizza und Focaccia sind in der schnelllebigen Zeit die handliche Alternative zum Hackbraten mit Kartoffelstock. Die Pendlerströme fördern die mobile Ernährung.
Weitere Indizien ist für das südliche Flair sind das beliebte Fahren mit der Vespa sowie das Konsumieren von Espresso , Latte macchiato, Prosecco, Aperol Spritz und Sangria.
Die Entwicklung wird gemäss den Wissenschaftlern auch von der Klimaerwärmung begünstigt. Die Forscher rechnen in den kommenden Jahren mit noch mehr Sommertagen, an denen das Thermometer über 25 Grad steigt. Und die Tropennächte werden häufiger. In der Folge spielt sich das Leben vermehrt im Freien ab. Die Nachfrage nach Aussenbestuhlung für Gastronomiebetriebe ist messbar gestiegen. Konzerte und Filmvorführungen unter dem Sternenzelt werden beliebter.

Kehrseite der Medaille
Der Trend zu mehr Alltag im Freien bringt auch unerwünschte Nebenerscheinungen mit sich. Nicht alle, die sich unkompliziert verköstigen entsorgen ihre Pizzaschachteln, Chipstüten und Energydrink-Dosen in den Abfallkübeln. Im Weiteren nerven sich die Bewohner der Innenstädte über vermehrten nächtlichen Lärm.
Trotz unangenehmen Begleiterscheinungen werten die Forschenden den Trend zum sich wandelnden Lebensstil als positiv. Er trage zu einer Aufwertung der Innenstädte bei, weil er den öffentlichen Raum attraktiver mache.