Als der sehr selbstbewusst wirkende deutsche Kaiser Wilhelm II im Herbst 1912 in Wil eintraf, ahnte er nicht, dass seine Zeit bald abgelaufen war. Sechs Jahre später musste er abdanken und ins holländische Exil fliehen. Die Phase der autokratischen Monarchen war abgelaufen, das Volk wollte sich nicht länger bevormunden und in sinnlose Kriege führen lassen.

Die k.u.k Monarchie in Österreich-Ungarn war in jenen Jahren ebenfalls in ihre Einzelteile zerfallen, und die russische Revolution fegte das Zarenreich weg. Rund zehn Millionen Tote und zahllose Verstümmelte des Weltkriegs waren sozusagen der Blutzoll für diese Neuordnung in Europa. Von dieser Katastrophe ahnte damals noch niemand etwas Wilhelm II Wil seine Aufwartung machte.

Gekrönter als Publikumsmagnet

Der Kaiser hatte sich selber zu einem Staatsbesuch in die Schweiz eingeladen. Sein inoffzielles Interesse galt der Verteidigungsbereitschaft und -kraft der Schweizer Armee. Er wollte prüfen, ob bei einem allfälligen deutsch-französischen Krieg mit einem Durchmarsch französischer Truppen durch die Schweiz zu rechnen sei, um das deutsche Kaiserreich von Flanke her anzugreifen. Wilhelm überzeugte sich, dass das Schweizer Militär für die Verteidigung seiner Landesgrenzen gewappnet war. Zudem schien es willens seine Neutralität durchzusetzen. Der damalige Bundespräsident Forrer betonte dies in einer Rede.

In einem Manöver im Gelände der Region von Wil und Kirchberg präsentierten 22 645 Unteroffiziere und Soldaten, 1 309 Offiziere und 5 755 Pferde ihr militärisches Können.

Nicht nur der Kaiser und sein Gefolge beobachteten das Geschehen, der hohe Besuch und die Manöver hatten rund 100 000 Schaulustige angelockt. Pomp und der Glanz eines Monarchen waren in der republikanischen Eidgenossenschaft eine äusserst seltene Sensation. 


Turmpläne zum Gedenken

Heute erinnern je eine Gedenktafel auf dem so genannten Kaiserhügel in Kirchberg sowie bei der Kaiserlinde in Wil an den denkwürdigen Staatsbesuch am Vorabend des 1. Weltkrieges. Die damaligen Pläne, auf dem Wiler Hofberg in Erinnerung an den Kaiserbesuch einen Turm zu errichten, wurden nicht in die Tat umgesetzt. Eine Anfrage an den Bund zur Errichtung eines Vermessungspunktes, der zugleich auch als Aussichtturm genutzt werden sollte, wurde abschlägig beantwortet: kein Bedarf. Man hatte in Wil auf die Eidgenossenschaft als Geldgeber gehofft. Ein zusätzliches Nein kam auch vom damaligen Landeigentümer Friedrich Pestalozzi. Erst 2006 wurde der Wiler Turm errichtet. An säbelrasselnde Pickelhaubenträger erinnert er zum Glück nicht.

Kanonendonner und Glockengeläut

Rund 100 Jahre vor Wilhelm machte ein anderer Monarch in Wil Halt: Im Herbst 1815 stiegen Kaiser Franz I von Österreich sowie sein Feldmarschall von Schwarzenberg im Gasthaus «Krone» in der Wiler Altstadt ab. Das heutige Haus zur Krone an der Kirchgasse wurde 1963 errichtet. An seiner Stelle stand zuvor ein renommiertes Lokal aus dem Jahr 1604. Es stellte 1897 seinen Betrieb ein.

Mit Böllerschüssen und Glockengeläut empfingen die Wiler seine Majestät. So einen noblen Gast hatte man sonst kaum zu beherbergen. Anlass des Besuches war ein Zwischenhalt. Der Kaiser und sein Gefolge reisten von Paris nach Wien.

Im Sommer zuvor hatte der Wiener Kongress stattgefunden, bei dem Franz I als Gastgeber wirkte. An dieser Zusammenkunft der Mächtigen wurde Europa neu geordnet.

Fürstenfamilie mit Schweizer Pass

Der Begleiter des Kaisers, Feldmarschall von Schwarzenberg, war Abkömmling einer weitverzweigten Fürstenfamilie mit fränkischen und böhmischen Wurzeln. Sie ist seit Jahrhunderten eng mit den historischen Entwicklungen in Europa verbunden. Sie stellte zahlreiche Militärführer und Diplomaten. Feldmarschall Karl Philipp zu Schwarzenberg war Militärführer, aber auch Botschafter in Paris. Auch im Gefolge des deutschen Kaisers Wilhelm II war ein Vertreter der Schwarzenberg-Familie in Wil anwesend.

Die Familie Schwarzenberg war ursprünglich unter anderem Eigentümerin des Klettgaus, einer Grenzregion in den Kantonen Schaffhausen, Zürich und Aargau sowie in Süddeutschland. Aufgrund eines historischen Abkommens sind die Angehörigen der Familie im Zusammenhang mit diesem Landbesitz seit dem 16.Jahrhundert Schweizer Bürger. Einige von ihm leben heute tatsächlich in der Schweiz.