„Manche Klänge sind in ihrer Wirkung nicht zu unterschätzen, sie können viel auslösen“, erklärt die Dr. phil. Barbara Gindl. „Wenn da etwas Inneres aufbricht, muss es kompetent aufgefangen werden können.“ Die Fachfrau muss es wissen: die Leidenschaft für die heilsame Anwendung von Musik begleitet sie ihr ganzes bisheriges Leben.„Schon als Jugendliche habe ich oft auf dem Klavier improvisiert und meine verschiedenen Stimmungen so ausgedrückt“, erzählt die 55-Jährige. Auch wenn ihr im Radio ein Song gefiel, spielte sie ihn auf dem Instrument nach. Dass die therapeutische Wirkung von Musik eines Tages ihre Berufung werden würde, dachte sie damals noch nicht. „Eigentlich wollte ich Mikrobiologie studieren.“ Zufällig sah sie in einem Verzeichnis, dass es Musiktherapie als Beruf gab. Die in der Steiermark aufgewachsene Frau meldete sich in Wien an der Musikhochschule für den damals dreijährigen Lehrgang an. Mittlerweile wird diese Ausbildung auf Universitätsstufe gelehrt.
In Wil heimisch geworden
Über einen Praktikumsplatz kam sie zum ersten Mal in die Schweiz. Nach dem Ausbildungsabschluss nahm sie 1983 eine Festanstellung an der damaligen Kantonalen Psychiatrischen Klinik Wil an, die heute Psychiatrie St.Gallen Nord heisst. In jener Zeit gab es in ihrem Herkunftsland kaum Arbeitsstellen für Musiktherapeutinnen. Ursprünglich wollte sie nach zwei Jahren nach Österreich zurückkehren. Längst ist sie in Wil sesshaft geworden und hat sich hier einen festen Freundeskreis aufgebaut.
Wiener Opernball
Mit ihrer ursprünglichen Heimat fühlt sie sich noch immer stark verbunden. „Vier bis fünf Mal im Jahr fahre ich dorthin.“ Die steirische Kultur und speziell die Musik schätzt sie bis heute sehr. Und auch der Wiener Opernball lässt ihr Herz höher schlagen, sie hat schon persönlich an ihm teilgenommen, bisweilen geniesst sie ihn auch im TV.
Arbeit an sich selber wichtig
Im Gespräch kommt sie immer wieder darauf zu zurück, dass die Anwendung von Musik als Heilbehandlung in gut geschulte und verantwortungsbewusste Hände gehört. Sie meint damit nicht nur eine fundierte Grundausbildung: „In meinem Beruf ist die ständige Arbeit an sich selber sehr gefordert.“
Psychologiestudium
Barbara Gindl hat sich auf vielfältige Weise aus- und weitergebildet. Unter anderem gehört dazu auch eine abgeschlossene Ausbildung als Psychologin an der Universität Zürich. „Mit einem Psychologiestudium ist man für die Forschung gerüstet, für die psychotherapeutische Tätigkeit braucht es eine Zusatzausbildung.“ Diese hat sie in Körperpsychotherapie absolviert, sie hat sich aber auch mit verschiedenen anderen Richtungen der Psychotherapie vertieft auseinandergesetzt.
Resonanz der Seele
Schliesslich doktorierte sie in ihrem Fach mit einer Arbeit mit dem Titel: `Anklang – Die Resonanz der Seele: Über ein Grundprinzip therapeutischer Beziehung`. Die gedruckte Ausgabe ist mittlerweile vergriffen, als E-Book ist sie noch erhältlich.
Chemie stimmt
Resonanz übt auf Barbara Gindl seit langem eine grosse Faszination aus: „Einerseits ist das die akustische Resonanz, aber sie spielt auch im zwischenmenschlichen Bereich, wenn man sich auf einander einstimmt, wenn man Mitgefühl entwickelt, und wenn die Chemie stimmt.“ Sie sei auch die Grundlage einer therapeutischen Beziehung, ergänzt die Fachfrau. Seit dem Erscheinen ihres Buches wird sie immer wieder zu Referaten zum Thema im In- und Ausland eingeladen.
Leiden, das am Leben hindert
Musik scheint im Alltag fast allgewärtig, sei es beim Kleiderkauf, in der Warteschlaufe bei der Servicenummer einer Hotline oder auch von bettelnden Strassenmusikern, wann aber wird sie zu psychotherapeutischen Zwecken angewendet? Barbara Gindl bemüht sich um eine allgemeingültige Erklärung: “Es ist eine psychodynamische Therapieform, die psychische Zustände angeht, die Leiden verursachen und am Leben hindern.“ Damit sind depressive Verstimmungen genauso gemeint, wie Menschen die plötzlich mit einer Krebsdiagnose konfrontiert werden oder die eine schlimme Kindheitserfahrung mit sich herumtragen. „Manchmal gibt es Zustände im Leben, wo einem ganz einfach die Worte fehlen.“ Dann muss eine andere Art von Sprache zum Zuge kommen.
Sprache ohne Worte
Musik ist gemäss Barbara Gindl eine „Sprache ohne Worte“, die alle Menschen verstehen, schon vor ihrer Geburt. „Ab dem fünften Schwangerschaftsmonat nimmt das werdende Baby die Stimme der Mutter, ihren Herzschlag und ihre Rhythmen wahr. Sie sind sein erster Kontakt mit der Welt.“ Für die Psychotherapeutin umfasst speziell der heilsame Einsatz von Musik weit mehr als wohltuende Akkorde. „Mit Musik sind auch Geräusche aller Art gemeint, selbst die Stille ist eine Art von Musik.“
Körperlich-seelische Wirkung
Musik wirkt unmittelbar auf den Körper ein und löst eine Wirkung aus, beispielweise eine Stimmungsaufhellung. „Mit diesem Effekt arbeitet die Popmusik.“ Musik kann auch verschiedene andere Stimmungen aktivieren. Sie kann auch unmittelbaren Zugang schaffen zu noch unbewussten Emotionen, die oft dem seelischen Leiden zugrunde liegen. Sie kann weiter entspannend oder anregend wirken, und sie kann helfen, Emotionen zu regulieren. Sie wirkt auch auf das vegetative Nervensystem, in dem sie etwa den Herzschlag beschleunigt respektive reduziert. Barbara Gindl verweist weiter darauf, dass Musik seit Beginn der Menschheit sehr wirkungsvoll für kultisch-religiöse Handlungen eingesetzt wird.
Keine Instant-Unterstützung
Um Missverständnissen vorzubeugen betont die Expertin, dass es in der Musikpsychotherapie nicht um eine „musikalische Hausapotheke“ geht. Entsprechende Publikationen unter diesem Titel empfehlen Musikstücke zu verschiedenen Lebenslagen. Ebenso sollte sie nicht mit Klangtherapien verwechselt werden. Vielmehr geht es um gemeinsames aktives Musizieren oder Anhören von Musik, die individuell auf die Situation und das Krankheitsbild des Patienten abgestimmt wird. Auf diese Weise wird ein Prozess angeregt und gefördert, der den Menschen hilft, ihr Leiden auszudrücken und in eine positive Richtung zu verändern. Musik vermag innere Blockaden zu lösen. Ein zentrales Element ist dabei die stabile therapeutische Beziehung zwischen dem Patienten und der Therapeutin.
Längere Behandlungen
Damit wird auch klar, dass es in der Musikpsychotherapie nicht um kreative Mussestunden oder um wellnessartige Klangbäder geht, vielmehr sollen ausgeprägte Einbrüche in der Gesundheit, wie beispielsweise Neurosen, psychosomatische Erkrankungen oder massive seelische Verletzungen über einen längeren Zeitraum gezielt behandelt werden. Je nach Schwere des Leidens arbeiten die Patienten in wöchentlichen Sitzungen ungefähr zwischen einem halben Jahr bis drei Jahren an sich selber, begleitet von der musikpsychotherapeutischen
Unterstützung der Fachfrau.
Seit 1994 führt Barbara Gindl in Wil eine eigene Praxis für Musikpsychotherapie, in welcher sie Kinder, Jugendliche, Familien und Erwachsene behandelt. Seit 2003 arbeitet sie im Ostschweizer Kinderspital St. Gallen zusätzlich in Teilzeit als Musikpsychotherapeutin auf der psychosomatischen Therapiestation für Jugendliche.
Resonanz von der Natur
Wenn man den ganzen Tag über mit unterschiedlichsten Formen von Musik konfrontiert ist, sehnt man sich da nicht nach einer Freizeit ohne Klänge von Flöten, Saiteninstrumenten und Trommeln? Im Gegenteil, Musik ist für Barbara Gindl persönlicher Ausgleich für die Tagesarbeit. Gerne setzt sie sich ab und zu auch privat ans Klavier, zudem singt sie in einem Chor. Auch die musikalische Weiterbildung sei in ihrem Beruf sehr wichtig, betont sie. Und an einem weiteren Ort findet sie Erholung, wie sie mit einem verschmitzten Lächeln anmerkt: „Ich habe für mich die Liebe zum Gärtnern entdeckt.“ Sie greift zu ihrem Smartphone und präsentiert eine Auswahl von Fotos von ehemals blühenden Rosen und weiteren Blumen in ihrem Garten, den sie hegt und pflegt, oder anders ausgedrückt: mit dem sie in Resonanz steht.
Weitere Informationen: www.musictherapy.ch












