Luther ist für viele Menschen DIE zentrale Figur der Reformation, obwohl es schon vor ihm immer wieder Anläufe für eine Veränderung der verkrusteten Strukturen der katholischen Kirche des Mittelalters gab. Doch diese endeten meistens mit der Hinrichtung von „Ketzern“ wie beispielsweise Johannes Hus und anderen tiefgläubigen Männern. Diakon Richard Böck legte in seinen spannenden Ausführungen zu dem sprachmächtigen und klugen, aber keineswegs fehlerfreien Dr. Martin Luther vor allem den Finger auf den privaten Menschen. Der Abend war gut besucht. "Was Sie über Luther noch nicht wussten.“
Diesen provokativen Titel hatte Diakon Richard Böck über seine Ausführungen zu Martin Luther gesetzt. Und tatsächlich! Meist wird ja nur von den an der Kirchentür von Wittenberg angeschlagenen Thesen oder den nicht immer unbedingt salonfähigen, markigen Aussprüchen des grossen Reformators gesprochen. Böck, der sich eingehend mit Luther befasst - und auch ein Buch über diesen für die Kirche so wichtigen Mann geschrieben hat -, malte in Worten ein viel privateres Bild und brachte so den Menschen Luther der aufmerksamen Zuhörerschaft näher. Luther selber war ein Verfechter für eine gute Schulung von Mädchen UND Buben, was im Mittelalter keineswegs üblich war.

Flucht vieler Nonnen
Viele Nonnen, die oft gegen ihren Willen in den Klöstern versorgt worden waren, flüchteten im Wissen um schwere Strafen bei Aufdeckung ihres Verschwindens. Es herrschten oft unsägliche Zustände in diesen für viele Frauen als Gefängnis empfundenen Mauern. Luther war einer, welcher diesen Frauen half, in der realen Welt wieder Fuss zu fassen. Schutz bot eine Heirat. Manche versuchten, bei Verwandten unterzukommen, was allerdings nicht leicht war, da für viele eine solche Flucht als schwere Sünde gesehen wurde.

„Heiratsvermittlungsbüro Luther“
Unter einer Gruppe von neun Geflüchteten, welche ein Kaufmann zu Luther gebracht hatte, war auch Katharina von Bora. Für alle acht andern Nonnen hatte Luther mit Helfern passende Ehemänner gefunden. Zwei Versuche, die selbstbewusste 24-jährige Frau unter die Haube zu bringen, scheiterten. „Nicht gerade hübsch“, urteilte Luther über sie. Katharina von Bora war von der Theologie Luthers, wie sie in VON DER FREIHEIT EINES CHRISTENMENSCHEN zu lesen ist, sehr angetan.

Ehemann fast wider Willen
Schliesslich fand Katharina, Luther und sie könnten es doch miteinander probieren. Luther überdachte die Vorteile einer solchen Verbindung und kam zum Schluss, dass es auch für ihn gut sein könnte. Im Laufe der Zeit wuchs eine grosse gegenseitige Liebe, die durch sechs Kinder gekrönt wurde, drei Buben und drei Mädchen. Luther war Leibfeindlichkeit fremd, er fand grossen Gefallen auch an der körperlichen Seite der Ehe. Er war sich zudem keineswegs zu schade, auch als Mann ein Kindlein zu wickeln.

Leider starb eines seiner Mädchen bereits mit acht Monaten, ein anderes mit 13 Jahren. Ihr Vater war darüber todtraurig, denn er liebte seine Kinder sehr. Er war auch ein vehementer Gegner der Prügelstrafe, und dies im 16. Jahrhundert! Seinen Kindern schrieb er ganz berührende Briefe, wie der Referent an einem Beispiel eines Briefes an den ältesten Sohn Johannes belegte.

Katharina Luther als ebenbürtige Gefährtin
Luther konnte nicht mit Geld umgehen – Materielles war ihm unwichtig, theologische Fragestellungen alles -, seine Frau war ihm auch in dieser Hinsicht eine gute, kluge Stütze. Ihr Haushalt glich einem kleinen Gewerbebetrieb, da ständig um die 30 Menschen zu versorgen waren. Als Luther nach langer Krankheit seinem Tode zuging, verfasste er ein Testament, in welchem er in liebevoller Sorge alles seiner geliebten Ehefrau – er nannte sie oft „mein Herr Käthe“ - vermachte. Nach seinem Hinschied wurde dieses Testament jedoch als ungültig erklärt und Katharina stand mittellos da.

Luther und die Bauern
Den Bauern ging es im Mittelalter an vielen Orten sehr schlecht, so auch im Umfeld Luthers. Der Adel zwang die ungebildeten und kaum organisierten Bauern zu schweren Abgaben, lebte jedoch selber in Saus und Braus und verachtete die Armen. Nicht einmal Wild jagen durften die Bauern in den vielen Wäldern, das war den hohen Herren vorbehalten. Irgendwann kippte der Unmut in Aufstände um. Dieser hatte nämlich durchaus Verständnis für das Elend der Landbevölkerung. Luther stand immer für Verhandlungen zwischen Fürsten und Bauern ein, hatte aber in Thomas Münzer/ Müntzer – einem anfänglichen Weggefährten Richtung Reformation - einen Gegenspieler, welcher in der Bibel nach Rechtfertigung für die Auflehnung der Landbevölkerung suchte. Es kam zum erbitterten Streit zwischen den beiden.

Als verzweifelte Bauern 24 Fürsten ermordeten, gab es für diese Handlung nach damaligem Recht nur eines: die Todesstrafe. In der Folge wurden um die 100‘000 Bauern hingerichtet. Laut Richard Böck schreibt man Luther zu Unrecht den Anstoss zu diesen Massakern zu.

Interview mit Margot Kässmann
Richard Böck stellte ein Interview mit der ehemaligen deutschen Bischöfin Margot Kässmann vor. Sie wurde beispielsweise gefragt, ob sie gerne Ehefrau von Luther gewesen wäre. So sicher war sie sich dessen nicht, fand aber, Katharina von Bora sei für die damalige Zeit eine sehr unabhängige, emanzipierte Frau gewesen. Im Kasten unten kann mehr zum Gespräch mit dieser deutschen Theologin nachgelesen wer

Luthers Haltung zur jüdischen Religion
In Luthers Glaubenslehre brauchte es nur Jesus als Vorbild und Wegbereiter. Dies versuchte er auch den jüdischen Mitbürgern klarzumachen. Er missionierte eifrig, fand aber bei dieser Religionsgruppe keinen Widerhall. Vermutlich hat ihn das bitter enttäuscht, sodass er sich verschiedene Male oft äusserst abfällig über „die Juden“ äusserte. Die Nationalsozialisten rechtfertigten im 20. Jahrhundert die grausame Verfolgung und Vernichtung von vielen Millionen Juden, indem sie auf Luthers judenfeindliche Aussprüche verwiesen. Allerdings litten auch andere Minderheiten sowie handicapierte Menschen während der Zeit des Dritten Reiches unter Willkür und menschenverachtenden Übergriffen bis hin zum Tod.

Es gibt eigentliche Hassreden aus Luthers Feder gegen die jüdischen Mitbürger, die seit Jahrhunderten schon in Deutschland lebten und seit jeher Einschränkungen in der Berufswahl unterworfen waren, sodass ihnen vor allem Geldgeschäfte und Handel offenblieben. Natürlich wurde ihnen auch das wieder zum Vorwurf gemacht. Antisemitismus gab es durch alle Jahrhunderte hindurch, bis heute. Luthers Abneigung gegen das Judentum war nicht nur theologisch begründet – Christusmörder, obwohl doch auch Jesus ein Jude war -, sondern zudem von jahrhundertealten Vorurteilen genährt. Heute distanziert sich die reformierte Kirche von dieser Haltung.



Nächster Bildungsabend im evangelischen Kirchgemeindehaus Oberuzwil
24.Januar 2018 um 19:30 Uhr zum Thema LEBEN, WIRKEN UND THEOLOGIE ZWINGLIS

Richard Böcks Buch zu Martin Luther heisst DURCHS FEUER HINDURCH und ist beim Autor oder im Buchhandel erhältlich.

Evangelisch-reformierte Kirchgemeinde Oberuzwil-Jonschwil

Martin Luther – Wikipedia

Deutscher Bauernaufstand

Katharina von Bora – Luthers Ehefrau

500 Jahre Reformation

Die Vorreformatoren


1999 schuf Nina Koch für Luthers Ehefrau Katharina ein eindrückliches Denkmal. Diese lebte von 1499 - 1552.

Luther ist für Diakon Richard Böck zu einer Herzensangelegenheit gworden. Er erzählte auf fesselnde Weise über den privaten Martin Luther (1483 - 1546) und beleuchtete dabei auch die dunklen Seiten des grossen Theologen.

Während der Adel in Saus und Braus lebte und dabei die Bauern mit Abgaben bis aufs äusserste auspresste, darbten diese, bis sie sich aus lauter Verzweiflung erhoben. Schlimme Massaker waren die Folge.

Pfarrer René Schärer führte mit einem Lutherlied - Nr. 648 im reformierten Kirchengesangbuch - in den Abend zu Luther ein. "Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen". Er wies damit auf den reichen Liederschatz hin, den Luther geschaffen hat.

Von Martin Luther gibt es keine Fotos, so wurde er von einem Zeitgenossen gezeichnet.

Katharina von Bora auf einem zeitgenössischen Porträt, eine sehr beeindruckende, mitten im Leben stehende Frau und gute Gefährtin ihres Mannes.

Martin Luther, umringt von seiner Familie, im häuslichen Umfeld.

Nach der geistigen Nahrung gab es einen feinen Apéro mit Gelegenheit, über das Gehörte - oder auch "Anderes", wie Richard Böck schelmisch anmerkte - zu diskutieren.

Richard Böck hat über Martin Luther auch ein Buch geschrieben. Nähere Angaben dazu im Kasten.