Am Samstagnachmittag, dem 3. März, wird Qin Deng Häne im Teehaus in der Wiler Altstadt eine Teezeremonie aus dem Reich der Mitte präsentieren. Vorab gewährte sie einen Einblick in den Ablauf des Teerituals. Wegen grosser Nachfrage ist der Anlass bereits ausgebucht. Eine weitere Durchführung des Events `Tee und Tai Chi` ist in Planung.Mit ruhigen konzentrierten Bewegungen hantiert Qin (als Tschin ausgesprochen) Deng in der Küche ihres Hauses mit kleinen Teekrügen und winzigen Teeschalen. Sie lebt mit ihrem Schweizer Ehemann Lukas Häne und der gemeinsamen kleinen Tochter Linda an der ehemaligen Gemeindegrenze zwischen Wil und Bronschhofen. Immer wieder giesst sie heisses Wasser in die verschiedenen Gefässe. Ihre Bewegungen wirken routiniert und auch leicht ritualisiert.
Weise Affen als Symbol
Auch die kleinen Statuen mit drei sitzenden Affen werden mehrmals übergossen. Einer hält eine Hand vor die Augen, einer verschliesst die Ohren und der dritte bedeckt seinen Mund. Sie wirken in diesem Teegeschirr-Arrangement überraschend. Ihre Körperhaltungen werden im Fernen Osten etwas anders als in Westen gedeutet. „Sie veranschaulichen eine gute meditative Haltung: Nichts sehen, nichts hören, nichts sprechen“, erklärt Qin Deng.
Teebouquet erleben
Immer wieder schöpft sie mit einem langstieligen Löffel aus dunklem Holz Tee in den kleinen Krug. Zuerst servierte sie einen milden Grüntee mit einem diskreten Bouquet. Die folgende leicht fermentierte Sorte heisst übersetzt „Wolken-Nebel-Tee“. Jeder Aufguss nimmt an Konzentration zu, das Aroma wird intensiver, ebenso die Farbe in der Schale. Das Kosten der verschiedenen Aufgüsse erinnert an das Degustieren von Wein, bei der die verschiedenen Nuancen im Bouquet nur durch aufmerksames Riechen und Schmecken voll erfahrbar werden.
Alltagshektik hinter sich lassen
Es wird rasch klar, dass man die kleinen Teeportionen nur geniessen kann, wenn man sich innerlich von der Hektik des Alltags etwas distanziert und die Achtsamkeit auf Nase und Gaumen lenkt. Wie Qin Deng erzählt, wird in China das Teeritual zur Entspannung und zur Regeneration gepflegt. Aber auch als freundliche Geste gegenüber Gästen. Sie zeigt auf ihrem Smartphone ein kürzlich aufgenommenes offizielles Foto des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping der bei einem Besuch der britischen Premierministerin Theresa May mit ihr an einer Teezeremonie teilnimmt. Man kann sich leicht vorstellen, dass so ein Ritual eine ideale Einstimmung auf nachfolgende konstruktive Gespräche sein kann.
Süss-scharfe Knabbereien
Als Beigabe zum Tee werden caramelfarbene Süssigkeiten gereicht, die in ihrer Form an Kandiszucker erinnern. Sie sind mit Ingwer angereichert, dessen leichte Schärfe einen interessanten Kontrast zum Teearoma bildet; indirekt vergleichbar mit salzigen Knabbereien, die den Wein- oder Biergenuss abrunden.
Tee verlangt Musse
Wenn man Qin Deng bei ihren konzentrierten Bewegungen zuschaut, wird klar, dass die Kultur des Tees eine völlig andere ist als die des Espressos. Dessen intensives Aroma und der kurze Koffeinstoss stärken für den nächsten Termin, der Tee dagegen verlangt etwas Aufmerksamkeit und Musse.
Krank ohne Befund
Aufmerksamkeit und Konzentration ist auch im Beruf von Qin Deng gefordert, sie arbeitet als Therapeutin für Traditionelle Chinesische Medizin TCM, seit kurzem in eigener Praxis in Münchwilen. „Bei mir melden sich öfters Patienten, bei deren Beschwerden die westliche Schulmedizin nur sehr beschränkt helfen konnte.“ Bei anderen haben die ärztlichen Untersuchungen keinen Befund ergeben, gleichwohl fühlen sie sich leidend.
Keine Routineabfertigung
Für die 36-Jährige ist es wichtig, einen guten persönlichen Kontakt zu ihren Patienten aufzubauen, um so sorgfältig auf sie eingehen zu können. Ihr sehr wacher Blick bestätigt das Interesse am jeweiligen Gegenüber.
Energie geben und bekommen
„Meine Arbeit fordert einige Energie, aber sie gibt mir auch Energie zurück“, betont sie. Auf eine unerwartete Weise unterstützt sie ihr Hobby bei ihrer Arbeit: sie nimmt Gesangstunden bei einer Opernsängerin. „Für das Singen muss ich üben in die Tiefe zu atmen, dies fördert meine Konzentration und auch meine innere Stabilität.“ Ausserdem nimmt sie Gu Qin-Unterricht bei Qin Streller-Shen, welche die Teezeremonie am 3. März begleiten wird. „Die zarten Klänge der antiken chinesischen Zither versetzen einen in einen ruhigen harmonischen Zustand.“
Opa als Förderer
Wie ist der Wunsch, Ärztin zu werden entstanden? Mit einem freundlichen Lächeln erzählt sie von ihrem Opa, der offenkundig eine sehr wichtige Person in ihrem Leben war. Er war als ehemaliger Soldat kriegsversehrt und bezog eine staatliche Rente, mit der er auch die Ausbildung der Enkelin unterstützte. „Er motivierte mich, meine Fähigkeiten zu schulen und zu entwickeln und in die Welt hinaus zu gehen.“
Frühes Büffeln
Wer in China an einer renommierten Universität eine gute Ausbildung erhalten will, muss eine möglichst hohe Punktezahl bei der maturaartigen Prüfung erreichen. Wie sie sich schmunzelnd erinnert, hörte man in ihrem Internats-Gymnasium jeden Morgen ab sechs Uhr die Schüler lautstark aus den Lehrbüchern rezitieren. „Erst nach einer Dreiviertelstunde Lernen gab es Frühstück.“
Erfolg mit West und Ost
Anschliessend studierte sie an der Universität von Wuhan, der Hauptstadt ihrer Heimatprovinz Hubei in Zentralchina Traditionelle Chinesische Medizin TCM; 2007 legte sie in China das Staatsexamen als Ärztin ab. Sie ergänzte ihre Ausbildung mit einem Masterstudiengang in der Kombination von Schulmedizin mit Traditioneller Chinesischer Medizin TCM an der Universität Guangzhou, dem früheren Canton. Dort lernte sie auch ihren späteren Mann Lukas Häne kennen, der sich nach einem Sinologiestudium dort ebenfalls in TCM ausbilden liess. Wie die TCM-Therapeutin betont, wird in China im Praxisalltag die westliche und die chinesische Medizin erfolgreich kombiniert.
Formelle Einladungen
Welche Unterschiede fallen ihr zwischen der schweizerischen und chinesischen Mentalität auf? Sie verweist als Beispiel auf die hierzulande übliche Planung. Während man in China Gäste öfters spontan und kurzfristig zu sich nach Hause zum Essen einlädt, werden hier eher formelle Einladungen zu einem gemeinsam vereinbarten Termin ausgesprochen.
Geplanter Schweizer Alltag
Sie betont die Vorteile des in der Schweiz sehr strukturierten Alltags. In ihre Praxis kommen die Patienten zum fix vereinbarten Termin. Die TCM-Therapeutin weiss so im Voraus genau, wie viel Zeit sie jedem einzelnen Kranken widmen kann. In den Gesundheitseinrichtungen in China erscheinen dagegen die Patienten oft unangemeldet und stehen zwei bis drei Stunden auf einen Termin wartend in der Schlange. „Ein ehemaliger Studienkollege von mir behandelt in China bis zu 150 Patienten am Tag, ich weiss nicht, wie er das schafft.“













