Und darum geht es: Der Thurgau gehört zu den wenigen Schweizer Kantonen, in denen nach wie vor das Geheimhaltungsprinzip gilt. Die Behörden entscheiden in eigener Kompetenz, welche Dokumente sie der Öffentlichkeit zugänglich machen wollen. Am 4. November 2015 lehnte das Parlament – der Grosse Rat – eine Motion zur Einführung des Öffentlichkeitsprinzips mit 79:30 Stimmen ab. Zuvor hatte sich schon der Regierungsrat dagegen ausgesprochen. Am 22. September 2017 begann ein überparteiliches Komitee, Unterschriften für eine kantonale Volksinitiative zur Einführung des Öffentlichkeitsprinzips zu sammeln. Am Sonntag wird nun im Kanton Thurgau darüber abgestimmt. Kantonsrat Peter Bühler ist dafür, Grossrat Guido Grütter kritisch eingestellt.
Die Herren, braucht es diese Vorlage wirklich?
Peter Bühler: Ja, absolut. Eine einzelne Person hatte bislang kein Recht, von sich aus Informationen von den Behörden zu verlangen. Im Gegensatz zu vielen anderen Kantonen gilt bei uns im Thurgau bisher immer noch das Geheimhaltungsprinzip – leider.
Guido Grüter: Nein, es gibt derzeit weitaus wichtigere und dringendere Themen, die gelöst werden müssen. Wobei ich nichts gegen das Öffentlichkeitsprinzip habe. Wenn ein ordentliches Öffentlichkeitsgesetz vorliegt, ergibt sich daraus Rechtssicherheit gleichermassen für die öffentliche Verwaltung und Bürger.
Was ändert sich bei einem Ja, was bei einem Nein?
Peter Bühler: Ein Ja verpflichtet die Behörden, auf Begehren Einsicht in amtliche Akten zu gewähren. Es gilt der Grundsatz, dass eine Filterung der Information durch die Behörden nicht der Grundidee der direkten Demokratie entspricht. Der Staat sollte den Souverän in dessen Meinungsbildung unterstützen und nicht behindern. Eigentlich logisch – oder? Bei einem Nein wären wir gleich wenig weit wie vorher.
Guido Grütter: Bei einem Ja sind grundsätzlich alle Behördenakten öffentlich. Bei einem Nein gilt der Grundsatz der Geheimhaltung von Behördenakten weiterhin. In jedem Fall gilt die Thurgauer Verfassung Paragraf 11, wonach Behörden offen über ihre Tätigkeit informieren, mal mit mal ohne Akteneinsicht für jede und jeden.
Warum sind dieses Mal fast alle Parteien dafür, nachdem im 2015 eine Motion im Grossen Rat, die in die gleiche Richtung ging, noch wuchtig scheiterte?
Peter Bühler: Weil die Thurgauer erkannt haben, dass eine moderne Gesellschaft keine Angst vor Transparenz haben muss. Mit dem Öffentlichkeitsprinzip erhalten die Behörden mehr Rechtssicherheit. Amtsträger laufen heute ständig Gefahr, das Amtsgeheimnis zu verletzten. Eine erfolgreiche Unterschriftensammlung, überparteilich breit abgestützt, ist ein sehr gutes Argument.
Guido Grütter: 79 Mitglieder des Grossen Rates haben die Motion am 4. November 2015 als nicht erheblich erklärt, 30 Kantonsräte wollten sie erheblich erklären. In den mehrheitlichen Voten kommt klar zum Ausdruck, dass man ein Öffentlichkeitsgesetz als überflüssig betrachtet und im Thurgau, vor allem auf Gemeindeebene, rasch, offen und klar informiert wird. Nun wurde eine Volksinitiative lanciert, um den Grundsatz des Öffentlichkeitsprinzips in der Thurgauer Verfassung zu verankern. Die Initianten haben genügend Unterschriften gesammelt. In der Thurgauer Verfassung steht, dass alle Staatsgewalt vom Volk aus geht. Also haben jetzt die Wähler das letzte Wort dazu. Zudem haben die entsetzlichen Vorkommnisse bei der Tierhaltung in Hefenhofen ein Umdenken bewirkt. Der Bericht über diesen Fall empfiehlt die Einführung des Öffentlichkeitsprinzips.
Warum ist der Thurgau einer der einzigen Kantone der Schweiz, welcher noch kein Öffentlichkeitsprinzip kennt?
Peter Bühler: Das habe ich mich in den letzten Monaten auch oft gefragt. immerhin haben 21 Kantone und der Bund bereits ein Öffentlichkeitsprinzip. Und sie fahren gut damit. Von überbordenden Aufwänden für die Behörden haben wir nirgends gehört – von zusätzlichen Stellen, die deshalb geschaffen werden mussten, auch nicht.
Guido Grütter: Wohl deshalb, weil die Thurgauer gut über die behördlichen Tätigkeiten informiert sind, den Behörden grosses Vertrauen entgegengebracht wird und man leicht Zugang zu den einzelnen Behördenmitgliedern erhält.
Die Gegner warnen vor hohen Gebühren und personellem Mehraufwand sowohl beim Kanton wie auch in den Gemeinden. Wie sehen Sie das?
Peter Bühler: Diese Warnung ist falsch. Auch durch ständige Wiederholungen wird sie nicht richtiger. Das Gegenteil wird der Fall sein. Durch verbesserte Transparenz werden Mauscheleien nicht salonfähig bleiben. Die Prävention bietet Garantie dafür, dass es gar nicht so weit kommt. Der Kanton Zug hat im ersten Jahr der Einführung eines Öffentlichkeitsprinzips mit rund 120 Anfragen gerechnet; am Ende waren es weniger wie 40.
Guido Grütter: Nach der Annahme der Initiative durch das Volk am 19. Mai ist Einsicht in amtliche Akten zu gewähren, welche nach der Abstimmung erstellt werden. Ein Gesetz wie das Verfahren dazu sein soll, existiert nicht. Deshalb ist jede Mutmassung über Gebühren und Personalaufwand falsch. Vergleiche mit anderen Kantonen sind nicht statthaft. Es kann eine Lawine von Begehren geben, nach dem Motto «Was ich schon lange einmal wissen wollte» oder es kann weiter gehen wie bisher. Das ist das Problem dieser Initiative. Sie verlangt die Anwendung des Öffentlichkeitsprinzips am Tag nach der Abstimmung. Aber niemand weiss, wie die Anwendung sein soll. Deshalb kann es sein, dass bei vielen Anfragen um Akteneinsicht vor Gericht gestritten werden muss und die Gerichte mit ihren Urteilen festlegen, wie die Anwendung der Verfassungsbestimmung zu handhaben ist. Dies dauert solange, bis ein Öffentlichkeitsgesetz eingeführt ist.
Auf dem Wahlplakat der Gegner ist Detektiv Sherlock Holmes mit einer Lupe abgebildet. Darunter seht der Slogan «Wollen Sie, dass Ihre Daten öffentlich werden?» Das Plakat hat bei der Gegnerschaft Emotionen ausgelöst – zurecht oder zu unrecht?
Peter Bühler: Provokation kann auch Programm sein. Dies vor allem dann, wenn man wenige oder keine Argumente hat. Das Plakat suggeriert Unwahres und ist kurzum falsch. Es geht um eine Initiative, nicht um ein Gesetz. Und Personendaten sind ja im Artikel 3 des Initiativtextes explizit geschützt und ausgenommen.
Guido Grütter: Zurecht löst das Plakat Emotionen aus. Da niemand weiss, wie das Öffentlichkeitsprinzip in der Praxis anzuwenden ist, besteht die Befürchtung, dass schützenswerte Daten und Informationen nicht als solche erkannt und herausgegeben werden. Sicherheit für Bürger und für die Behörden wird erst mit dem Öffentlichkeitsgesetz geschaffen, also in einigen Jahren. Ich habe nichts gegen das Öffentlichkeitsprinzip und befürworte dieses grundsätzlich. Aber ich habe etwas gegen die Art und Weise, wie es jetzt über die Verfassung eingeführt werden soll. Die Initianten hätten ihr Ziel durchaus anders erreichen können. Dann bräuchte es jetzt keine Plakate, die Emotionen wecken.