Wie sind Sie zur Kunst gekommen?
Eigentlich bin ich erst als Patient in der Psychiatrie zum Künstler geworden. Ich hatte vorher nie die Absicht, mich mal mit Kunst zu beschäftigen. Es war dann einfach eine der vielen Therapieformen, die die Psychiatrie St. Gallen Nord anbietet. Zuerst habe ich vor allem viel gezeichnet. Mit der Zeit wurde ich aber mutiger und habe die Keramik für mich entdeckt. Dergleichen habe ich vorher noch nie gemacht. Meine Ausbildung als Feinmechaniker hat mir jedoch viel geholfen. So hatte ich schon eine gute Vorstellung für Formen und wusste, wie ich meine Hände einzusetzen habe. Seit mehr als einem halben Jahr stecke ich meine Leidenschaft nun schon in die Keramik.

Wieso ist diese feste Struktur in den Ateliers so wichtig für Sie?
Stationärer Patient der Psychiatrie bin ich schon seit 2016 nicht mehr, sondern einfach noch im Tagesstruktur-Programm. Das heisst, ich wohne ausserhalb der Psychiatrie, darf aber jeweils drei halbe Tage pro Woche in den Ateliers «Living Museum» verbringen. Diese feste Struktur gibt mir Halt. Ich freue mich immer ungemein auf die Atelier-Besuche. Man hat hier die Zeit, die man sich zuhause schlicht und einfach nicht nimmt. Zudem bin ich in dieser Umgebung viel motivierter und auch inspirierter. Dies wohl wegen der Präsenz der anderen Künstler, deren Kunstwerke und der gesamten Atmosphäre in den Ateliers. Auch habe ich hier viele soziale Kontakte. Was aber das Allerschönste ist: Hier wird man geschätzt, wie man ist. Man ist nicht Patient, man ist einfach Mensch.

Wie muss man sich einen typischen Atelier-Halbtag vorstellen?
Es gibt Leute, die kommen hierher, trinken Kaffee und reden vor allem mit Freunden. Ich komme aber schon, um Dinge zu produzieren. Das erfüllt mich. In der Regel mache ich mich direkt an die Arbeit. Wenn ich gerade ein Werk abgeschlossen habe, kommt mir immer sehr schnell wieder eine neue Idee. Ich denke, das liegt auch daran, dass man hier keinen Erwartungen ausgesetzt ist und die Arbeitsform unglaublich frei ist. Es lastet so kein Druck auf einem.

Wie sonst überall ausserhalb der Ateliers?
Ja. Ich bin schon ein Mensch, der sich schnell unter Druck gesetzt fühlt. So bin ich überhaupt hier gelandet. In meinem Arbeitsbetrieb wurden immer extrem hohe Anforderungen gestellt. Viele Jahre habe ich irgendwie funktioniert in dieser Leistungsgesellschaft – bis ich dann schliesslich unter anderem mit Burnout-Symptomen in der Psychiatrie landete. Ich bin froh, habe ich so auch heute noch immer die Möglichkeit, von diesem Angebot der Ateliers zu profitieren.

Sie haben ja bisher vor allem für sich gearbeitet. Was ist es für ein Gefühl, wenn die eigenen Kunstwerke wie an der kommenden Kunstmesse plötzlich in der Öffentlichkeit stehen?
Eine Ausstellung der Ateliers der Psychiatrie St. Gallen Nord durfte ich bereits in Frauenfeld mitmachen. Damals habe ich gute Kritik bekommen. Man hat mir sogar falsche Bescheidenheit vorgeworfen (lacht). Seine Werke zeigen zu dürfen, erfüllt mich mit Stolz. Es ist schön, dass man durch diesen Verbund der Ateliers «Living Museum» überhaupt die Möglichkeit hat, seine Kunst auszustellen. Das hätte man sonst ja nicht.

Was erhoffen Sie sich denn persönlich von der Kunstmesse?
Ich hoffe, dass der Zugang zur Kunst noch mehr geöffnet wird für die Allgemeinheit. Es müsste viel mehr solche Ateliers geben, wie ich eines besuchen darf. Und zwar auch frei zugängliche, ohne ein ehemaliger Patient der Psychiatrie gewesen sein zu müssen. Ich hätte meine Leidenschaft für die Kunst nie entdeckt ohne die Ateliers «Living Museum».

Interview: Stefanie Käser

_______________________________________________________________________________

Kunstmesse 2019:
- Living Museum, Psychiatrie St. Gallen Nord, Haus C02
- 12. + 13. September, jeweils 18 Uhr bis 22 Uhr, 14. + 15. September jeweils 14 Uhr bis 17 Uhr