Sympathisch ist ja Paulette zu Beginn nur sehr bedingt. Ihre rassistischen Aussprüche und ihr recht vulgäres Auftreten befremden. Doch dann entwickelt sich die Geschichte und das Verständnis für die ältere Dame wächst von Minute zu Minute. Im Gemeindesaal Uzwil konnte diese Geschichte, aufgeführt von einem tollen Spielerensemble, als Einstieg in die achte Saison genossen werden. Sie regte zum Nachdenken an, war also trotz vielen kleinen Gags keineswegs nur ein unterhaltender Klamauk. Nach einer wahren Geschichte
Der Fall stand 2001 in der Zeitung. Paulette, eine achtzigjährige Französin mit mickriger Rente, hatte ihr früher einträgliches Restaurant nach schlechtem Geschäftsgang dank einem saufenden, mittlerweile verstorbenen Ehemann fremden Leuten - im Stück spricht Paulette von „Japsen“, womit sie Japaner meint - abtreten müssen und brauchte nun unbedingt zusätzliche Einnahmen. Sie stieg in den Handel mit weichen Drogen ein, wurde sogar verhaftet, und sass samt Freundinnen zwei Jahre im Gefängnis.

Der Franzose Jérôme Enrico hat 2013 darüber einen umjubelten Kinofilm gedreht, in den Banlieus von Paris angesiedelt, welcher zu einem Sensationserfolg geriet. Die a.gon-Theater-GmbH hat aus diesem Stoff eine Theaterkomödie gestaltet, die sich genau wie der Film nicht um moralische Vorgaben schert, wohl aber aufzeigt, wie Armut Menschen zu Handlungen zwingt, welche sie in geordneten Verhältnissen kaum je in Betracht zögen.

Tolle schauspielerische Leistungen
Hauptdarstellerin des Stücks ist Paulette und wird von der aus vielen Filmproduktionen bekannten deutschen Schauspielerin Diana Körner gespielt. Rosamunde-Pilcher-Fans kennen sie aus verschiedenen dieser Filme, aber auch Anhänger und Anhängerinnen des Bullen von Tölz haben sie schon in Aktion erlebt. Vielleicht kennt man auch „Liebling Kreuzberg“, um nur ein paar ihrer prominenten Rollen zu nennen. Sie verkörpert diese biestige Paulette mit allen Fasern ihres schauspielerischen Könnens. Auch die übrigen Mitwirkenden sind in ihren Rollen überzeugend und ziehen das Publikum mit der haarsträubenden Geschichte in ihren Bann.

Paulette
Diese Frau hat bereits so viel Schwieriges erlebt, dass es ihr nicht mehr gelingen mag, auch nur die einfachsten Umgangsformen zu wahren. Ihr Bäckergeschäft ist zugrunde gegangen, ihre Rente reicht nicht fürs Leben, an ihrem Unglück sind vor allem die Ausländer schuld. Ihre Sprache ist derb, von Hass und von rassistischen Sprüchen geprägt. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass ihr Beichtvater Baptiste, dem sie ziemlich schonungslos all ihre schlechten Seiten offenbart, rabenschwarze Haut hat. Paulette hat im Allgemeinen zwar viel gegen Schwarze, aber ein Priester ist ja auch eine geachtete Persönlichkeit, die es „wirklich verdient hätte, weiss zu sein“, wie Paulette ihm ohne rot zu werden an den Kopf wirft. Alkohol ist ihr ein guter Freund, dazu die zwei Freundinnen Renée und Lucienne. Doch selbst die werden nicht allzu freundlich behandelt.

Familientragödie
Paulettes Tochter Agnès ist mit einem schwarzen Polizisten verheiratet, mit Ousmane. Die Zwei haben einen Buben namens Léo. Hie und da kommt es vor, dass die Tochter keine Hüteperson für den Buben hat, wenn sie arbeiten muss. Dann bringt sie ihn der Mutter vorbei. Doch die mag den Enkel nicht und behandelt ihn wie einen Aussätzigen. Als der fragt: „Warum magst du mich denn nicht?“, gibt sie schnodderig zur Antwort: „Weil du schwarz bist!“ Den Vornamen des Schwiegersohns kann sich Paulette auch nicht merken, immer gibt sie ihm andere Namen. Man spürt in jeder Szene zu Beginn des Stücks, wie wenig sich die Familienmitglieder zu sagen haben. Auch ihren Nachbarn Walter, der sie in allen Lebenslagen unterstützt und ausserdem heftig liebt, lässt Paulette lange nicht an sich heran.

Annäherung an den Enkel
Es tut weh, zu sehen und zu hören, wie ruppig und lieblos die alte Frau anfänglich mit dem kleinen Léo umgeht. Erstaunlich, dass er sich dadurch nicht allzu sehr verdriessen lässt. Er muss mucksmäuschenstill in einer Ecke des Zimmers warten, während die Freundinnen Karten spielen. Dabei geht Paulette auch mit ihrer an Alzheimer leidenden Freundin nicht eben zimperlich um. Ihr ganzer Lebensverdruss wird auf ihre Nächsten abgewälzt. Doch irgendwann wendet sich das Blatt.

Altersarmut
Paulette hat so ziemlich alles verloren, ihr Geschäft, ihren Ehemann, ihre Altersvorsorge. Doch sie will nicht einfach resignieren. In den Pariser Banlieus ist die Polizei nicht so gerne unterwegs, darum konnte sich da eine Dealerszene entwickeln. Auch die Arbeitslosigkeit ist hoch. Paulette fällt auf, dass junge Typen sich mit etwas ihr Unbekanntem abgeben. Bei einem Polizeieinsatz werfen fliehende Dealer ein Päckchen Haschisch weg, dieses landet genau in Paulettes Händen. Schnell erkennt sie da eine neue Geschäftsidee. Doch erst erkundigt sie sich bei ihrem Schwiegersohn scheinbar völlig unverbindlich nach den Gewinnmöglichkeiten. In seinem Ordner sind die Cannabis-Fänge der Polizei fein säuberlich aufgelistet. Paulette ist innerlich von dem bei klugem Vorgehen zu erzielenden Gewinn begeistert.

Sie sucht nun aktiv die Szene auf. Dealer-Unterboss Vito bietet ihr einen Gewinnanteil von 10 % an, was sie anfänglich ohne Widerrede annimmt. Schon bald ist sie nun mit ihrer rot-schwarz-karierten Einkaufstasche samt verbotenem Inhalt unterwegs. Die heisse Ware ist sorgfältig unter Gemüse versteckt. Und plötzlich trägt Paulette wieder edle Kleider und teuren Schmuck, sichtbare Zeichen wachsenden Wohlstands.

Hier verboten, dort gestattet
Doch irgendwann, als die Geschäfte gut zu laufen beginnen, macht sie sich für 30 % Gewinnbeteiligung stark. Schliesslich hört der russische Oberboss Taraz – bis jetzt nie in Erscheinung getreten – von ihren kaufmännischen Qualitäten und bietet ihr ein gutes Geschäft an. Doch das schlägt sie aus. Darauf lässt dieser durch Vito ihre Wohnung verwüsten und entführt den Enkel. Diesen hat sie unterdessen derart liebgewonnen, dass sie – zusammen mit ihren Freundinnen – den Buben mit Waffen in der Hand befreit. Polizist und Schwiegersohn Ousmane hilft ihnen dabei. Dass dabei ungewollt ein Schuss losgeht, gehört zu den vielen komischen Szenen im Stück.

Irgendwann erfährt Paulette, dass man in Amsterdam ganz legal solche Geschäfte tätigen kann. In einem fulminanten Schlussgesang singen nun alle vom Glück, nach Amsterdam gehen zu können. Das Leben ist wieder farbig geworden, licht und hell. Alle Schulden sind getilgt, das Konto wieder voll.

Moralische Fragen
Für Paulette gibt es wenig Skrupel, sich so ein Zubrot zu verdienen. Ihr ist jedoch klar, dass das Zeug nicht an Kinder verkauft werden darf. Diese müssen geschützt werden. Auch harte Drogen sind tabu. Allerdings kann sie es sich nicht leisten, allzu moralisch zu handeln, zu gross ist ihre finanzielle Not. Der Gerichtsvollzieher hat ihr schon fast den ganzen Hausrat gepfändet und gleich mitgenommen, sodass ihre Aufforderung an die Freundinnen: „Setzt euch!“ angesichts des einzigen Stuhls zu einem Gelächter im Publikum führt. Irgendwann werden auch die Wände herausgenommen, ihr Leben wird öffentlich.

Änderung des Geschäftszweigs
Als die Polizei immer mehr Kontrollen macht, verlegt sich Paulette, die versierte Bäckerin, auf das Herstellen von Patisserie mit dem gewissen Etwas, was die Kundschaft auch zu einem rechten Preis sofort akzeptiert. Interessanterweise hat ihr Enkel Léo in einem unbeaufsichtigten Moment solche Guetzli aus Langeweile zusammengerührt. Paulettes Freundinnen, aber auch die Kunden sind vom Gebäck begeistert und helfen mit, das Geschäft zum Laufen zu bringen. Irgendwann hat Paulette so viel Geld, dass sie auch der Kirche spenden kann. Doch da gibt es für Vater Baptiste grosse moralische Bedenken. Darf Geld aus zweifelhafter Herkunft für einen guten Zweck angenommen werden? Schliesslich nimmt er das Geld doch. Mit „Oh a Happy Day“, tanzend gesungen, wird die Gabe verdankt.

Sozialer Hintergrund
In den Vorstädten von Paris ist die Gewalt erwiesenermassen gross. So wird auch Paulette eines Tages von zwei kleinen Gaunern ausgeraubt und niedergeschlagen. Das Milieu kennt kein Schonklima, jeder ist sich hier selber der Nächste. Und weil gewaltsame Sprache Gewalt erzeugt, welche wiederum zu Rassismus und Ausgrenzung Anlass gibt, sind solche Quartiere in einem Teufelskreis gefangen. Mit Drogen wird der harte Alltag vermeintlich erträglicher. Doch das ist ein Trugschluss und bringt oft viel Leid für die ganze Familie mit sich.

Umgang mit Drogen
Portugal hat für diese Thematik eine eigene Lösung gefunden. Dort wird Drogenkonsum nicht mehr kriminalisiert, sondern ist nur noch eine „Ordnungswidrigkeit“, wie es im Gesetz heisst. Seither ist der Drogenkonsum stark gesunken, der Staat hat im Gegenzug ein Netz an Präventionsmassnahmen aufgebaut. Legale Drogen wie Alkohol und Nikotin, aber eben auch illegale werden quer durch alle Gesellschaftsschichten konsumiert. Die Diskussionen über den Umgang mit diesen Substanzen werden keinem Land erspart. Ziel muss sein, Menschen vor gesundheitlicher Schädigung zu schützen. Doch das WIE ist und bleibt ein grosser Streitpunkt.


Nächster Anlass

Sonntag, 17. Dezember 2017 um 15:00 Uhr
Kindertheater DER GESTIEFELTE KATER

Mit einem spannenden Programmheft leuchtet das a.gon-Theater den sozialen und gesellschaftlichen Hintergrund der ganzen Geschichte rund um Paulette aus.

Technische Betriebe Uzwil – Gas gibt Kultur gibt Gas

Theater: Paulette – eine Oma zieht durch

Diana Körner – Wikipedia

Trailer zum Film PAULETTE

Hintergrund zur Geschichte