In seiner Begrüssung wies Produktionsleiter Willy Hollenstein (Wil) auf den Umstand hin, der Name Ueli Bräker sei zwar nicht nur im Toggenburg, sondern auch weltweit bekannt, trotzdem könnten viele Menschen nicht sagen, was er geschrieben hat und warum seine Lebensgeschichte schon vor mehr als 200 Jahren Furore machte. Mit ihrer fünften Produktion wolle die Bühne Thurtal Ueli Bräker den Betrachtern näherbringen, was treffend gelang.

Authentischer Spieleort
Das lag an vielem. Zunächst gerade auch am Spielort. Schon die abenteuerliche Fahrt auf der bedrohlich steilen und schmalen Strasse gegen die Dreyschlatt hinauf hat es in sich. Du verlässt das immer noch städtisch wirkende Lichtensteig und befindest dich nach wenigen Kurven in einer völlig anderen Welt.

Das stattliche und gut erhaltene alte Sennenhaus, in dem Ulrich Bräker in einer mausarmen Familie entscheidende Kindheitsjahre verlebte, gibt die eindrückliche Szenerie für das Theatergeschehen ab. Authentischer könnte sie nicht gewählt werden.

Echte Spielfreude
Zentral war die Spielfreude aller Spielenden. Sie verband die Laienschauspieler von Jung bis Alt mit einem Band, das Sinn für das Ganze atmete, von der ersten bis zur letzten Szene.

Wie Regieassistent Roland Hefti im aufwendig gestalteten Programmheft bemerkt, wollte die Regie (Leitung Stefan Camenzind, Regieassistenz Jacqueline Gübeli und Roland Hefti) in ihrer Theaterarbeit „weg vom Theäterlen hin zum Theaterspielen“. Das ist ihnen gelungen. Vom Kind bis hin zum Ueli als alter Mann gestalteten die an die 50 Spielenden ihre Rolle mit viel Engagement und Überzeugungskraft, wohltuend teamorientiert und trotzdem persönlich.

Gelungenes dramaturgisches Konzept
Als gelungen muss man weiter das dramaturgische Konzept von Theaterautor Paul Steinmann bezeichnen. Schlüssel für seine Idee war das bekannte (und fast einzige) zeitgenössische Bild, das von Ulrich Bräker überliefert ist. Es zeigt ihn mit seiner Ehefrau Salome in Tracht, etwas steif zwar, aber in lebensechter Gestalt. Gemalt hat das Bild der Luzerner Trachtenmaler Joseph Reinhard.

Steinmann lässt den Maler auf Dreyschlatt aufkreuzen, seine Staffelei aufstellen und Bräker portraitieren. Damit gibt er der Hauptfigur Gelegenheit, Episoden aus ihrem reichhaltigen und oft schwierigen Leben zu erzählen. Diese kann das Publikum dann in dramatischen Szenen live mitverfolgen.

Treffende Auswahl
Das Theaterstück, Steinmann hat es für diese Produktion geschrieben, musste hier natürlich aus Bräkers Tagebüchern und der „Lebensgeschichte und natürliche Abenteuer des „Armen Mannes im Tockenburg“, wie Bräkers Autobiographie im Originaltitel heisst, eine Auswahl vollziehen. Dazu gehören die zarte, vom Zeitalter der Empfindsamkeit geprägte Liebesgeschichte mit dem koketten Ännchen, der Söldnerdienst bei der preussischen Armee und die Flucht aus der Schlacht von Lobositz, die Vernunftheirat mit der streitbaren Salome und die Schilderung ihres immer wieder schwierigen Verhältnisses. Dann der Kampf ums existentielle Überleben in Zeiten der Krise und der Hungersnöte, der Verlust der beiden ältesten Kinder, die beide an der Roten Ruhr starben (Bräker selbst überlebte der Epidemie nur knapp) und dann, als Hauptthema, der oft aussichtslose Kampf, sich durch Lesen eine weitere Welt zu erwerben, trotz der herrschenden materiellen Knappheit.

Bei allem, und das ist ein weiterer Vorzug des Stücks, wird zwar viel menschliche Unzulänglichkeit sichtbar, aber vor allem die Härte und bis in die napoleonische Fremdherrschaft reichende wirtschaftliche und politische Abhängigkeit der armen Bevölkerung, an der das Toggenburg besonders reich war.

Schauspielerische Präsenz
Wie schon gesagt, haben ausnahmslos alle Rollen zur Farbigkeit des Bräkerschen Bilderbogens beigetragen, oft bis ins Detail einer Geste oder einer Mimik. Einige Sonderleistungen seien herausgegriffen: Jeremias Scherz gab einen ungestümen und leidenschaftlichen jungen Bräker. Adrian Wichser erreichte in seiner ehrlichen, direkten und humoristisch verkleideten Traurigkeit einen ergreifenden Bräker der älteren Jahre, von vielen Rückschlägen gezeichnet, aber nicht gebrochen. Willy Schönenberger schliesslich verkörperte den alten und nicht nur abgeklärten, sondern auch etwas resignierenden Bräker, oft weise oder wehmütig, aber mit nicht versiegender Empörung über Unrechtes.

Jacqueline Gübeli (Salome in ihrer Jugend) und Sonja Bräker (Salome in den Reifejahren) gaben eine entschiedene und mit ihrem lebenspraktischen Sinn doch immer wieder klar durchblickende Salome. Bräker hat sie in seinen Schriften denn auch nicht nur als „Amazone“ bezeichnet, sondern auch als seine umsichtige „Hofmeisterin“. Dass beide die „Rässheit“ ihrer Figur gehörig ausspielten, darf man ihnen nicht verargen.

Zu Recht hob Hollenstein beim Schlussdank auch Kostüme und Bühnenbild mit vielen liebevollen Requisiten hervor. Eine besondere Anerkennung gebührt dem die Aufführung mit Sensibilität folgenden Live-Musikensemble Tritonus (Leitung Urs Klauser) sowie der schier Unmögliches vollbringenden Bühnen- und Beleuchtungstechnik, alle auch hier wieder ganz im Dienste des Textes und der Aufführung.

Weitere Aufführungen
Ueli Bräker ist an folgenden Daten zu sehen, werktags Beginn 20.00, sonntags Beginn 17.00: 12.7, 13.7.,14.7., 18.7, 19.7., 22.7., 25.7., 26.7., 27.7., 2.8., 3.8., 4.8., 8.8., 9.8., 10.8.
Tickets www.buehnethurtal.ch; Tel. 071 525 87 57