Eigentlich hiess er ja gar nicht „Mani“, sondern ganz einfach Hans Peter Matter. Aber wie bei Polo Hofer hat sich auch bei Matter der Pfadinamen durchgesetzt. Dieser Mani Matter verunglückte am 24. November 1972 bei Kilchberg ZH mit dem Auto, also vor ziemlich genau 45 Jahren. Und doch ist sein Name noch immer in vielen Köpfen sehr präsent. Verschiedene seiner Lieder haben in die Gesangbücher der heimischen Schulen Eingang gefunden. Wer kennt nicht „dr sidi abdel assar vo el hama“ oder den liebesdurstigen Kater Ferdinand, der „gschtorbe n isch“? Doch der Mann war viel mehr als das, er war auch Philosoph, hochpolitischer Denker, grosser Zweifler…Wilfried Meichtry
Dem Historiker Meichtry aus dem Wallis scheinen verborgene Geschichten am Herzen zu liegen. So hat er schon über 1000 Briefe des Intellektuellenpaar Iris und Peter Rothen im Buch „Verliebte Feinde“ zu einem wichtigen Zeitdokument über die Emanzipation der Frau, aber auch die eingefahrenen Verhältnisse im früheren Wallis – könnte auch anderswo gewesen sein – verarbeitet. Der Film dazu kam beim Publikum ebenfalls sehr gut an. Dann kam Mani Matter dazu. 31 Kisten Material durchforstete der Historiker zu diesem Buch. Er hatte 2013 ausserdem die Projektleitung – zusammen mit Pascale Meyer - einer Ausstellung über Matter im Landesmuseum Zürich inne. Meichtry wollte mit seinen Nachforschungen hinter die Persönlichkeit dieses aussergewöhnlichen Beobachters und Sprachkünstlers blicken.
Da Matter ein grosser Tagebuch- und Briefeschreiber war und Meichtry das grosse Glück hatte, auch diese Aufzeichnungen sichten zu dürfen, konnte er ein umfassendes, den vielen Facetten Matter gerecht werdendes Buch verfassen, welches fesselt und dank der feinen Sprache auch begeistert. In Oberuzwil erzählte er vor allem in spannender Manier, las aber auch kleine Abschnitte aus dem Buch vor.
Lukas Gerber
Der 1982 geborene Berner pflegt die Tradition der Berner Troubadours weiter. Von Beruf ist er Mathematiker und arbeitet für eine Berner Krankenversicherung, wie einem kurzen Lebenslauf zu entnehmen ist. Er hat verschiedene unbekannte Lieder von Mani Matter vertont, Lieder, die im Nachlass des früh verunglückten Mani Matter zu entdecken waren. Dabei berücksichtigte er Vorgaben, die der Liederschöpfer dazu aufgeschrieben hatte. Wer am Liederabend in Oberuzwil beim Zuhören die Augen schloss, fühlte sich sehr an die Darbietungen Mani Matters erinnert. Und wer ihm zuschaute, spürte ein inneres Feuer, welches den Mann bewegt, dieses Kulturgut auch für die junge Generation am Leben zu erhalten.
Lukas Gerber vertiefte feinfühlig und gekonnt die Aussagen Meichtrys mit gediegenem Gitarrenspiel und in schönstem Berndeutsch gesungenen Matter-Liedern. Dabei hatte er für eine leise Frotzelei Meichtrys nur ein müdes Lächeln übrig. Dieser sagte nämlich, Graber habe ihm vorgeblufft, alle Matter-Lieder zu kennen, er hätte das aber nicht geglaubt – aber oha! Das Repertoire des jungen Barden ist gross, und die Texte hat er verinnerlicht.
Mani Matter
Wer den Namen hört, erinnert sich bestimmt sofort an irgendeinen seiner Ohrwürmer. Die Berner Liederszene war Vorläuferin für all die Dialektbands der Schweiz. Initialzündung für Matter waren französische Chansons, besonders die des Franzosen George Brassens. Er brachte sich selber das Gitarrenspiel bei und begann ganz für sich selber dessen Lieder - auf Berndeutsch übersetzt - zu singen.
Die „Berner Troubadours“ – zu denen neben dem „Urvater Mani Matter“ Jakob Stickelberger, Ruedi Krebs, Bernhard Stirnemann, Markus Traber und Fritz Widmer gehörten - pflegten eine hochstehende Dialektkultur. Der Berner Dialekt eignet sich mit seinem reichen Wortschatz und den speziellen Vergangenheitsformen, aber auch mit seiner Sprachmelodie ganz besonders für Sprachspielereien. Doch Mani Matter war daneben auch Denker, kritischer Hinterfrager, oft auch ungeduldiger Zeitgenosse.
Sprache als Lebenselixier
Hans Peter „Mani“ Matters Vater Werner war Jurist und Direktor der Europäischen Reiseversicherung. Zuhause liebte er es, mit seinen Kindern skurrile Sprachspiele zu zelebrieren und sich auf alles einen – humorvollen – Reim zu machen. Die Bibliothek war gut gefüllt mit Werken von berühmten Dichtern, auch von solchen, die dieses Metier besonders pflegten. Vorlesungen aus Wilhelm Buschs Werken oder auch von Tucholsky wurden oft am Sonntagmorgen zelebriert. Auf Reisen wurde mit Ortsnamen konjugiert: Bellinzona – „Ich belle in Zona, du bellst in Zona…“ Als Vater Matter einmal ein Referat vor Lehrkräften halten sollte, schaute er erst grimmig in den Saal, um dann ganz trocken zu sagen: „Der Saal war auch schon voller.“ – Pause – „Der Saal war auch schon leerer.“ – Pause – „Aber noch nie so voller Lehrer!“ Ein solches Vorbild prägt einen jungen Menschen. Schon bald fiel Mani Matter mit kabarettistischen Versen und selbstgeschriebenen Liedern bei der Pfadi „Patria“ auf.
Schwierige Berufsfindung
Wer viele Interessen und Talente hat, tut sich oft sehr schwer mit der Berufsfindung. So erging es auch dem jungen Matter. Ihn interessierten Theologie, Philosophie, aber auch Politik. Während seiner Gymnasialzeit im Kirchenfeld-Gymnasium in Bern starb Matters Mutter, was den jungen Mann sehr erschütterte. Er begann ein Germanistikstudium, doch da waren zu viele Vorgaben, zu sehr eingeschränkt der erlaubte Denkhorizont. Da ihn die Verantwortung des Menschen für sich und andere sehr beschäftigte, kam er schliesslich auf das Studium der Jurisprudenz, trat quasi in die Fussstapfen seines Vaters. Beruflich trat er übrigens immer als „Hans Peter Matter“ auf. Er wurde Rechtskonsulent der Stadt Bern, nachdem er samt Familie ein Jahr in Cambridge verbracht hatte, wo er auch an seiner Doktorarbeit schrieb.
Zum Kulturgut der Schweiz geworden
Viele der Matter’schen Liedertexte haben einen aufrührerischen Ton. Wer kennt nicht „Si hei dr Wilhälm Täll ufgfüert…“ oder auch „S’Zündhölzli“ nebst unzähligen anderen Liedern, die längst zu Volksgut der Deutschschweizer Bevölkerung geworden sind? Oft ist die Melodie eingängig, das Versmass stimmt, doch wer hinter die Worte blickt, spürt genau, was den Mann umgetrieben hat. So ertönte sein rebellisches Lied „Dynamit“ 2013 zu einer grandiosen Lichtschau auf der Fassade des Bundeshauses, während die Fassade vermeintlich in sich zusammenfiel und damit den Staat in seinen Grundfesten erschütterte. Wer dies gesehen hat, spürte die Kraft dieses Matter’schen Textes bis ins Innerste.
Zweifler, manchmal auch Verzweifler
Gleich zu Beginn las Wilfried Meichtry eine Passage aus seinem Buch MANI MATTER vor, in welcher das grosse Unbehagen offenbar wurde, welches Matter wegen der grossen Verehrung des Publikums an seinem Tun zweifeln liess. Er mochte nicht einfach und vor allem nicht ausschliesslich als „Verslischmied“ gesehen werden, sondern als ein Mann, welcher Veränderungen in Gesellschaft und Politik anstrebte. Doch die Zuhörerschaft wollte lieber unterhalten werden, sich an den doppelbödigen Reimspielen und eingängigen Melodien freuen, nicht gross nachdenken müssen.
Das führte Matter in eine eigentliche Sinnkrise. Er hatte in den Jahren vor seinem tödlichen Unfall um die 100 Auftritte pro Jahr, eine Familie mit drei kleinen Kindern zuhause und daneben einen vollen „Brotjob“. Laut Aussagen aus dem Familienkreis brauchte Mani Matter viel Zeit für sich, hing gerne eigenen Gedanken nach. Er kannte auch düstere, depressive Zeiten, denen er zum Glück mit dem ihm eigenen Humor begegnen konnte. Aber er war auf der Suche…
Politischer Denker
„Müssen Kinder denn auf alles eine fertige Antwort haben, etwa in der Schule?“, fragte sich Matter. Ideologie war ihm zuwider, der Staat in seinen Augen ein ständiges Provisorium. Jubelpatriotismus und Personenkult stiessen ihn ab. Seiner Meinung nach sollte der Staat ständig revidiert, erneuert werden müssen. Er litt darunter, zu sehen, wie in der Wirtschaft ethische Überlegungen kaum Platz fanden. Aber er war Pragmatiker genug, um keine Revolutionen zu fordern, sondern kleine, machbare Schritte. Seine politischen Texte sind auch darum so aktuell, weil die heutigen Themen noch genau die gleichen sind wie vor fünfzig Jahren. 1967 sollte die Gesamtrevision der Bundesverfassung an die Hand genommen werden. Er wünschte sich klare Vorstellungen, was für die die Gesellschaft nützlich sei und deshalb eine Bundesverfassung gehöre. Erst dann könne die Arbeit beginnen. Das Steuerparadies Schweiz war ihm ebenfalls ein Dorn im Auge.
Verbaler Attentatsversuch
Meichtry berichtete am Schluss seiner Ausführungen von einem versuchten Wort-Anschlag auf Matter, den vier junge „Wilde“ an einem seiner Auftritte vorhatten. Sie fanden diesen Matter viel zu angepasst. Die Kollegen verständigten sich mit den Augen, wann der rechte Zeitpunkt dafür gekommen sei. Dummerweise gefiel aber erst einem, dann auch einem andern Burschen, was er da Gesellschaftskritisches zu hören bekam. Und so kam es, dass diese Rebellion völlig in sich zusammenfiel und die jungen Männer still und leise ohne einen einzigen Ton aus dem Lokal schlichen. Meichtry hat das von einem der damaligen „Viererbande“ erfahren, als dieser bereits sechzig Jahre alt war. Ja, Matter konnte sehr überzeugend sein.
Beglücktes Publikum
Für ihre Darbietungen bekamen die beiden Männer vom grossen Publikum herzlichen und dankbaren Applaus und schenkten diesem dafür ihrerseits zwei Zugaben. Ueli Gubler, im Vorstand der Donnerstags-Gesellschaft und Götti des Anlasses, wünschte sich das Lied vom einsamen, verlachten, durch eigene Hand verstorbenen Coiffeur Kari Dällenbach, und „dr sidi abdel assar vo el hama“ machte den Abschluss. In diesem Lied schimmert unüberhörbar der Steuerexperte Matter durch, zaubert aber auf jedes Gesicht auch ohne mathematische Überlegungen ein Lächeln aufs Gesicht…
Wikiwallis – Wilfried Meichtry
Lukas Gerber singt ein unbekanntes Matter-Lied
Interview mit Matters Ehefrau Joy Matter-Doebeli
s’Zündhölzli, gesungen von Mani Matter
Dynamit – gesungen von Mike Häfliger
Hemmige – Version von Stephan Eicher
Der Berner Bär - Lichtspektakel auf dem Bundeshaus
Nei säged sölle mir vo nüt me andre träume? – gesungen von Mani Matter

Ueli Gubler, Vorstandsmitglied der Donnerstags-Gesellschaft, begrüsste und verabschiedete die Akteure, aber auch das Publikum im gut gefüllten Singsaal der Oberstufe.

Lukas Gerber verzauberte sowohl mit seiner einfühlsamen Stimme...

...wie auch mit seinem sehr schönen Berndeutsch, aber auch mit seinen Interpretationen.

Wilfried Meichtry erzählte allerlei bis heute Unbekanntes...

...war aber auch bei den Liedervorträgen sehr präsent.

Diese Männer tragen dazu bei, dass der Name "Mani Matter" weiterhin nichts von seiner Ausstrahlung verliert.

Zwei, die sich ergänzen - Wilfried Meichtry, Historiker und Buchautor, liest und erzählt, Lukas Gerber vertieft das Ganze mit Matter-Liedern.

Wenn Meichtry liest, hört Gerber zu.