Baby Leano* schläft tief und fest. Seine Mama sitzt an einem Tisch im Coop-Restaurant im Wiler Stadtmarkt und drückt den Kleinen an sich. Vor sieben Wochen ist er auf die Welt gekommen. Ein Neugeborenes also, das die Nähe seiner Mutter braucht. Es ist «Zvieri»-Zeit. Die Mama sitzt seitlich auf dem Stuhl, damit sie die Spielecke des Restaurants im Blickfeld hat. Denn Anna*, ihre zweieinhalb Jahre alte Tochter, hat sich dort in einer Ecke verkrochen und spielt. Dem kleinen Leano streichelt sie sanft über das Köpfchen, ein Blick geht immer in die Richtung der Spielecke. Der neugeborene Bub blinzelt vorsichtig. Er mach erste Anzeichen, dass er hungrig ist. Er gibt ein kaum hörbares Geräusch von sich. Dann weint er richtig. Seine grosse Schwester eilt zum Tisch und will sehen, was ihr Bruder hat. Von der Mama wird er nun gestillt. Anna beginnt seine Backe zu streicheln und widmet sich gleich wieder ihrem Glacé, das halb geschmolzen auf dem Tablet auf sie wartet.

«Ja, das bin ich und das ist mein Leben», sagt Carla Friedrich*, die mit ihrer Familie in Flawil wohnt. Eine Vollzeitmutti, die den ganzen Tag nichts anderes tut, als ihren Kindern pädagogisch wertvolle Geschichten zu erzählen. Eine Übermutter, die vom Ehemann abhängig ist und in der restlichen Zeit sich mit Freundinnen zum Kaffeetrinken treffen würde. So würden viele Menschen in der Gesellschaft Carla Friedrich und alle anderen Mamas und Hausfrauen einstufen. «Ach, das macht mir nichts aus», sagt die 31-Jährige, «ich weiss, was ich für meine Familie und mich leiste». Viele hätten sowieso eine falsche Vorstellung von Mamas, die sich voll und ganz ihrer Familie verschreiben. «Obwohl die Rolle der Mama und Hausfrau etwas Wunderbares ist, ist es aber nicht immer ein Zuckerschlecken», führt sie weiter aus.

In der Theorie einfach, in der Praxis doch nicht machbar

Vor dem «Zvieri» im Coop-Restaurant: Carla Friedrich spaziert mit ihren Kindern am Stadtweier entlang. Leano ist in der Babytrage. Sein Köpfchen liegt auf der Brust seiner Mama, dort wo er ihr Herz pochen hört. Die zweieinhalb Jährige Anna sitzt im Buggy. «Enteeee», ruft das Mädchen mit den braunen Haaren und Ponyschnitt. Mit ihren Fingerchen zeigt sie auf die Tiere auf dem Wasser. Sie lacht und klatscht in die Hände. Mama Carla Friedrich bleibt stehen und erzählt ihrer Tochter etwas über Enten. Plötzlich zeigt das kleine Mädchen mit ihrem Zeigefinger nach vorne. Ja, die Mama soll den Buggy weiterschieben. Anna freut sich nämlich auf den Spielplatz – war sie doch schon lange nicht beim Stadtweier.

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Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist für viele Frauen eine grosse Herausforderung. (Symbolbilder Magdalena Ceak)

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf klingt in der Theorie immer einfach, machbar und super, wie Carla Friedrich erzählt. «Wie viele andere Paare haben auch mein Ehemann und ich uns vorgängig Gedanken über ein Leben mit Kindern gemacht», erinnert sie sich noch heute. In der Praxis würde alles doch nicht so schön aufgehen. «Mit einem Kind ist alles bis zu einem gewissen Punkt machbar und lässt sich organisieren», redet die junge Frau aus eigener Erfahrung. Zumal ihrem Ehemann und ihr – noch bevor sie mit dem ersten Kind schwanger war – klar war, dass sie offen für eine moderne Rollenverteilung sind. «Wir beide können uns sehr wohl vorstellen, dass mein Ehemann irgendwann auf ein 80-Prozent-Pensum geht», erzählt Carla Friedrich. Damit eben beide einer Berufstätigkeit nachgehen können. Aber warum nicht jetzt? «Mein Ehemann hat eine Führungsfunktion und weil er erst vor Kurzem eine neue Arbeitsstelle hat, muss er sich noch einarbeiten», so Carla Friedrich. In Zukunft würden sie das in Angriff nehmen. «Aber man kann nicht zu jedem Zeitpunkt alles haben», so die zweifache Mutter. Dass sie nach der Geburt ihres Sohnes ihrem langjährigen Arbeitgeber eine Kündigung schreiben musste, sei nicht geplant gewesen. Es ist der 31-Jährigen, die in Münchwilen aufgewachsen ist, sogar sehr schwer gefallen.

Zentrale Frage: Lohnt sich der Aufwand?

Anna klettert plötzlich aus dem Buggy heraus. Die Zweieinhalbjährige hat den Spielplatz entdeckt. Sie rennt auf die Ecke zu, in der sich die Rutschbahn befindet. Ihre Mama läuft ihr mit der Babytrage an der Brust gemütlich hinterher. Aufgeregt klettert das Mädchen auf den kleinen Hügel hoch. Sie rutsch ein bisschen aus und landet für einen kurzen Moment auf den Knien. Carla Friedrich zuckt mit der Schulter. Irgendwann würde man als Mama nicht bei jedem Schritt, den die Kinder machen hinterherspringen, erzählt sie und lacht. Man müsse die Kinder auch einfach mal lassen, die Welt auch eigenständig zu entdecken. «Mamaaaaa», ruft Anna oben angekommen. «Ich rutscheeee», ruft sie weiter. 

Dass Carla Friedrich ihre Arbeitsstelle als Sachbearbeiterin bei der Marty Häuser AG in Wil für die Rolle als Mutter und Hausfrau aufgeben musste, hat verschiedene Gründe. «Mit zwei Kindern ist man einfach nicht immer so flexibel», erklärt sie. Natürlich würden die Grosseltern von Anna und Leano unter die Arme greifen und viel aushelfen. «Aber sie können die Kinderbetreuung auch nicht jede Woche zuverlässig übernehmen», erklärt die junge Mama. Und die Zuverlässigkeit sei in der Berufswelt unverzichtbar und ihr sei klar, dass ein Arbeitgeber nicht in allen Punkten seinen Mitarbeitern entgegenkommen kann. «Ich möchte auch keine Extrawurst bekommen, nur weil ich zwei Kinder habe – das wäre dem Team gegenüber nicht fair», ist Carla Friedrich überzeugt. Und sobald die Kinder krank sind, könnte sie nicht arbeiten gehen. Hinzukommt, dass man für zwei Kitaplätze tiefer in die Tasche greifen muss. «Wenn ich mit meinem 60-Prozent-Arbeitspensum weiterarbeiten würde, würde das meiste vom verdienten Lohn für die beiden Kitaplätze verbraucht werden». Sie habe das Ganze ausgerechnet und unter dem Strich würden ihr dann nicht viel vom Lohn übrigbleiben. «Deshalb habe ich mich nach der Geburt meines Sohnes gefragt: Lohnt sich der ganze Aufwand – vom Frühaufstehen über das Herumstressen bis ich hin zum Abarbeiten der endloslangen To-Do-Listen bei der Arbeit und zu Hause?», schildert Carla Friedrich.

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Viele Schweizer Eltern entscheiden sich, ihre Kinder in eine Kita zu bringen, doch auch dann ist die Kinderbetreuung nicht immer zuverlässig geregelt. Wenn die Kinder einmal krank sind, müssen die Eltern sie wieder abholen. Es kann aber auch vorkommen, dass sich der Nachwuchs in der Kita noch wohlfühlt. 


«Mit einem Kita-Platz ist noch nicht alles sicher»

Anna hat irgendwann genug und rennt nun auf die Kletterbrücke zu und zieht sich mit ihren Ärmchen und Beinchen hoch. Mama Carla Friedrich steht daneben und beobachtet sie. Zur Sicherheit, falls die Zweieinhalbjährige einen Tritt der Kletterbrücke übersehen soll. Das komme von der Kita, dass Anna so aktiv überall mitmache und keine Angst habe – das habe sie von älteren Kindern abgeguckt. Nach ein paar Minuten ist Anna auf der anderen Seite. Sie lacht. Klatscht stolz in die Hände. Dann sieht sie, dass andere Kinder auf dem Spiel etwas essen. Sie zieht am Rucksack ihrer Mama und möchte etwas naschen. Als Carla Friedrich diesen öffnet, blickt das Mädchen rein. Sie rümpft die Nase. Dann zieht sie eine Schachtel mit Keksen heraus. 

«Mit einem Kita-Platz ist die Kinderbetreuung nicht immer sicher geregelt», sagt Carla Friedrich. Was, wenn ein Kind krank wird? Was, wenn sich eines der Kinder in der gewählten Kita nicht wohlfühlen? Was, wenn Mama oder Papa an einem Tag länger arbeiten müssen? Das alles habe die 31-jährige Mama mit dem älteren Kind bereits erlebt. «In der letzten Kita hat sich Anna nach einer Weile nicht mehr wohlgefühlt. Plötzlich hat sie nachts nicht mehr durchgeschlafen. Morgens hat sie geweint, sobald sie in die Kita musste», erzählt sie. Wahrscheinlich sei etwas vorgefallen, das dem Mädchen nicht gepasst habe. Obwohl sie nun Vollzeit-Mama und -Hausfrau ist, soll die Zweieinhalbjährige nicht komplett auf einen Kita-Besuch verzichten müssen. Das unterstütze die Entwicklung der kleinen Anna. «Deshalb wollten wir die Kita wechseln und haben bei der vorherigen in unserem alten Wohnort nachgefragt», sagt sie. In der Kita Schlümpfäland in Münchwilen fühlt sich Anna bedeutend wohler. «Ich bin echt froh, dass wir da wieder einen Platz bekommen konnten, denn in vielen Kitas gibt es eine Warteliste», weiss sie. Wenn Anna einmal in der Woche die Kita besuche, könne sie sich dem kleinen Leano widmen. Obwohl die Mama aktuell mit den Kindern zu Hause bleibt, möchte sie spätestens in zwei Jahren wieder eine Arbeitsstelle. «Je älter die Kinder werden, desto selbständiger werden sie und somit wird auch Organisation im Alltag etwas einfacher», sagt Carla Friedrich zuversichtlich. 

*Namen von der Redaktion geändert