Ausgelöst hat die jüngste Diskussion um Spitalschliessungen Felix Sennhauser, oberster Spitalfunktionär im Kanton St. Gallen. Ohne das Ergebnis des von der Regierung eingesetzten Lenkungsausschusses abzuwarten, hat der Verwaltungsratspräsident der Spitalverbunde die Alarmglocke geläutet und stationäre Betten nur noch an vier der neun St. Galler Standorten als finanzierbar prognostiziert und rasche Entscheide gefordert. Aus regionaler Sicht hat am Podium zur Spitaldebatte im Pfalzkeller in St. Gallen natürlich die Beurteilung der Chancen der Spitalstandorte Flawil, Wattwil und Wil interessiert.
Drei Kantone vertreten
Auf dem Podium standen die Gesundheitsdirektoren von St. Gallen sowie von Appenzell Ausserrhoden und Innerrhoden, Regierungsrätin Heidi Hanselmann, Regierungsrat Matthias Weishaupt und Frau Statthalter Antonia Fässler. Unter der Leitung von Stefan Schmid und Andri Rostetter von der Chefredaktion des St. Galler Tagblatts debattierten weiter Gesundheitsökonom Tilman Slembeck, Robert Stadler, Direktor der Handelskammer St. Gallen-Appenzell, und Peter Hartmann, Fraktionschef SP-Grüne im St. Galler Kantonsrat. Letzterer, in Flawil wohnhaft, versuchte natürlich vor allem, die «Kastanien für Spitalstandorte wie Flawil und Wattwil aus dem Feuer zu holen».
Wil scheint ungefährdet
Der Standort Wil wurde nicht in Zweifel gezogen. Angemerkt kann hier die kommunale Diskussion um die Stellungnahme des Wiler Stadtrats werden. Dieser habe sich zufrieden über die Beurteilung der Wiler Situation geäussert, aber die Solidarität mit Flawil und Wattwil vermissen lassen, ist ihm vorgeworfen worden.


Denkpause beim Spitalausbau Wattwil
Just auf den Tag des Podiumsgesprächs hat der Verwaltungsrat der Spitalverbunde die Debatte erneut befeuert. Das im ersten Halbjahr angelaufene Defizit von 4 Millionen Franken in der Spitalregion Fürstenland-Toggenburg hat ihn veranlasst, die zweite Ausbauetappe des Spitals Wattwil zu sistieren. Das bedeute lediglich eine Denkpause und stelle noch keine Aufgabe der Ausbaupläne dar.
Klar, dass Tagblatt-Chefredaktor Stefan Schmid diese Nachricht als Ausgangspunkt für die Diskussion nützte. Verlangt die heraufbeschworene Gefahr, dass die Landspitäler noch rascher als befürchtet in die Defizitwirtschaft abrutschen, rasche Massnahmen und Spitalschliessungen?
Wird Schwarzmalerei betrieben?
Von Spitalschliessungen wurde in der Folge erstaunlich wenig gesprochen. Der Hinweis, es müsse das ganze Ergebnis der Spitalverbunde betrachtet werden, zeigte Wirkung. Im Zeitraum, in welchem sich in der Spitalregion Fürstenland-Toggenburg ein Defizit von 4 Millionen ergab, erzielte die Spitalregion St. Gallen ein gegenüber dem Budget um fast 30 Millionen besseres Ergebnis. Budgetiert worden war ein Fehlbetrag von 25 Millionen Franken. Ausgewiesen wird ein Überschuss von 3,8 Millionen Franken. Statt von Spitalschliessungen wurde in der Folge von Einsparmöglichkeiten und Leistungsverbesserungen gesprochen.
«Ein Spital muss nicht rentieren»
Man war sich auf dem Podium eigentlich nur in diesem Punkt einig: Die heutige Medizin verlangt eine gewisse Zentralisierung. Nicht jedes Landspital kann Fachärzte und Apparate in jedem Spezialgebiet anbieten. Die Detailfragen aber wurden kontrovers beurteilt. Verteuert die Zentralisierung das Gesundheitswesen? Was gehört zur Grundversorgung und damit zu den Leistungen der Landspitäler?
«Ein Spital muss nicht rentieren, es muss die Gesundheitsvorsorge sichern.» Mit dieser Feststellung nahm der Gesundheitsökonom Tilman Slembeck seiner Forderung nach Spitalschliessungen fast ein bisschen selber den Wind aus den Segeln. In der Folge konzentrierte sich die Diskussion vermehrt auf interdisziplinäre Zusammenarbeit unter den Spitälern. Auch über die Kantonsgrenzen hinweg.
Autonomie wird nicht preisgegeben
Dass eine Spitalregion Ostschweiz eine Utopie ist, ging aus den Stellungnahmen der Gesundheitsdirektorin und des Gesundheitsdirektors der Appenzeller Halbkantone hervor. «Wir geben unsere Autonomie nicht preis», erklärte Antonia Fässler. Matthias Weishaupt unterstrich die gute Zusammenarbeit zwischen den Spitälern über Kantonsgrenzen hinaus. Die politische Führung der eigenen Spitäler aber gebe man nicht aus der Hand. Appenzell Innerrhoden hat an der Landsgemeinde den Neubau eines Spitals beschlossen. Ausserrhoden hat defizitäre Kantonsspitäler in Herisau und Heiden.
Heidi Hanselmann, die St. Galler Gesundheitschefin, berichtete über Versuche, zu einem Verbund mit dem Fürstentum Liechtenstein zu kommen. Auch diese seien an der Bereitschaft des Fürstentums gescheitert, sich in der Autonomie einschränken zu lassen. Mit Zürcher Gemeinden in der Nachbarschaft des Linthgebietes sei ein Verbund aus Kostengründen nicht zustande gekommen. St. Gallen hätte die höheren Zürcher Tarife subventionieren müssen.
Fortschritt hat seinen Preis
«Was muss unternommen werden, um die Kosten im Gesundheitswesen in den Griff zu bekommen?» Auf eine Massnahme reduziert beantwortete Heidi Hanselmann diese Schlussfrage: «Es muss auf unnötige Behandlungen verzichtet werden.»
Nötig sei ein Instrument, die Ausgaben zu steuern. In anderen Bereichen, zum Beispiel bei der Bildung, hätten wir es, im Gesundheitswesen fehle es, sagte Tilman Slembeck.
Robert Stadler verlangte mehr Transparenz, damit der Klient eine Entscheidungsgrundlage habe.
Matthias Weishaupt sieht in der Zusammenarbeit zwischen den Spitälern innerhalb der Kantone und über Kantonsgrenzen hinaus ein Potenzial.
Antonia Fässler nimmt jeden einzelnen als Leistungsbezüger in die Pflicht. Die Kostensteigerung sei eine Folge unserer Anspruchshaltung. Nebenbei bemerkte sie das grosse Gefälle innerhalb der Schweiz und wies auf die Zurückhaltung der Appenzeller hin.
«Wir verursachen die Kosten. Wenn diese laufend steigen, sind wir selber schuld.» Der Fortschritt habe seinen Preis, stellte Peter Hartmann fest. Nur ein Herunterschrauben der Ansprüche könne eine Besserung der Situation bewirken.
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Quadratur des Kreises?
Die St. Galler Regierung hat für die Ausarbeitung der Spitalkonzeption einen Lenkungsausschuss unter der Leitung von Monika Engler, Dozentin an der Fachhochschule Chur, eingesetzt. Das Projekt ist ausserordentlich komplex und aufwändig. Es soll darüber offensiv informiert und die Bevölkerung einbezogen werden. Der Lenkungsausschuss will in den kommenden Monaten in allen acht Wahlkreisen persönlich vorsprechen und informieren. Ausserdem steht der Bevölkerung die Homepage spitalzukunft.sg.ch zur Verfügung.
Nach Ansicht des Verwaltungsratspräsidenten der Spitalverbunde, Felix Sennhauser, macht es die finanzielle Situation notwendig, erste Spitalschliessungen schon vor einem Abschlussbericht vorzunehmen.
Die Diskussion im Pfalzkeller aber hat einmal mehr gezeigt, wie weit die Ansichten auseinander liegen. In dieser Situation Entscheide übers Knie zu brechen, ist nicht sinnvoll und vermutlich auch nicht möglich.