Für einmal waren sich der Angeklagte, dessen Rechtsanwalt und der Staatsanwalt nahezu einig in der Frage, was denn eigentlich passiert ist: Der 31-jährige Täter bestritt nicht, im März des vergangenen Jahres im Rahmen eines Streits in der Wiler Notschlafstelle einen anderen Mann mit einem Küchenmesser verletzt zu haben. Zu reden gaben dafür das «Warum» und «Wie». Der Angeklagte gab an, das Messer zur Selbstverteidigung behändigt zu haben, weil er sich dem anderen Mann unterlegen fühlte. Er habe nicht aktiv zugestochen. Vielmehr sei ihm der andere Mann «ins Messer gelaufen».
Es war eine Version, welche ihm das Gericht nicht abkaufte, da die Wunde beim Opfer schräg Richtung Bauchnabel verlief. Verurteilt wurde der Mann schliesslich zu einer 27-monatigen Haftstrafe, wovon ein Drittel vollziehbar ist, wie es in der Gerichtssprache heisst. Oder anders formuliert: Neun Monate muss er absitzen. Abzüglich der bereits verbüssten 28 Tage Untersuchungshaft bleiben noch gut acht Monate Gefängnis übrig. «Ein ausschliesslich bedingtes Urteil konnte es nicht geben», sagte der Richter. Zudem muss der 31-Jährige eine Busse von 500 Franken und die Verfahrenskosten von rund 15'000 Franken berappen, wenn es seine wirtschaftlichen Verhältnisse zulassen. Er bekommt einen Bewährungshelfer zur Seite gestellt. Das Urteil, welches noch nicht rechtskräftig ist, war unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft geblieben, die bis zu fünf Jahre Haft gefordert hatte. Der Verteidiger hatte hingegen eine bedingte, 18-monatige Haftstrafe für angemessen befunden. Es sein ein «Ausrutscher» gewesen und sein Mandant gehöre nicht ins Gefängnis, sagte der Verteidiger.
Schon acht Drogenentzugs-Therapien hinter sich
Verurteilt wurde ein Schweizer, der ein schwieriges Leben führt. Nach seiner Ausbildung zum Gerüstbauer arbeitete er ein Jahr auf dem Beruf und geht seither keiner geregelten Arbeit mehr nach. Dafür hat er schon acht Drogenentzugs-Therapien in Pfäfers hinter sich. Erst vergangene Woche ist er zum achten Mal dort ausgetreten. Chauffeur will er nun werden – womit er den Drogenkonsum negieren muss. Ein Einzelgänger sei er, habe keine Freundin und auch keinen guten Freund.
Doch was ist eigentlich passiert? An einem Morgen war der nicht angeklagte Mann mit einem Wischmob am Putzen der Notschlafstelle an der Flawilerstrasse. Weil sich der Angeklagte gestört fühlte, kam es zuerst zu einem verbalen Streit, dann zu einem handgreiflichen, ehe die Situation mit dem Messer eskalierte. Mindestens 7 cm tief ist dieses laut einem Gutachten in den Körper des Opfers gedrungen. Da jedoch die Bauchhöhle verfehlt wurde, ging der Zwischenfall glimpflich aus und der angegriffene Mann erlitt keine bleibenden Schäden. Allerdings hätte der Zwischenfall auch tödlich enden können. So blieb es bei der «versuchten schweren Körperverletzung».