Das Wort von Markus Hilber ist nicht ohne Gewicht. Acht Jahre lang politisierte er für die FDP im Stadtparlament. Gar ein Vierteljahrhundert war er bei den Technischen Betrieben Wil (TBW) in der Geschäftsleitung und davor in der Fernwärmebranche tätig. Am Donnerstagabend hatte er im Wiler Stadtparlament einen grossen Auftritt, obwohl er gar nicht in der Tonhalle zugegen war und auch nicht namentlich erwähnt wurde.
Denn der Bauingenieur hat sechs Tage vor der Parlamentssitzung einen Brief mit pikantem Inhalt an alle Stadtparlamentarier geschickt. Hallowil.ch liegt das rund zweieinhalbseitige Scheiben vor. Hilber fühle sich mit seinen Kenntnissen verpflichtet, die Volksvertreter über «einige nicht unwesentliche, risikoreiche Fakten» zu informieren. Es stimme nicht, dass wie im Bericht und Antrag des Stadtrats erwähnt, die Prüfung zur Machbarkeit erstmals veranlasst wurde. Tatsächlich gibt es diese älteren Studien, wie auch Stadtrat Daniel Meili am Donnerstagabend verlauten liess. Jedoch habe er vor dem Erhalt des Briefes nichts davon gewusst. Dies wirkte glaubhaft, muss man das Archiv doch schon gut durchkämmen, um diese Studien zu finden. Sie stammen – und das steht im Brief von Markus Hilber nicht explizit – aus den Jahren 1983 und 1988. Sie sind also 30 und 35 Jahre alt. Diese Studien hätten aufgrund des Alters heute faktischen keinen Wert mehr, sagte Meili dem Parlament.
Lange Zuleitung als Hypothek
Hilber fragt sich im Brief, warum heute eine Fernwärmeversorgung glaubhaft begründbar sein soll nach zwei negativen Studien. «Und dies, nachdem sich seit jenem Zeitpunkt die Voraussetzungen für eine Fernwärmeversorgung erheblich verschlechtert haben», so Hilber. Die Wärmebranche befinde sich schon seit vielen Jahren in einer innovativen Effizienzsteigerung. Bei bestehenden Bauten hätten sich die Wärmeverbräuche in den vergangenen 20 Jahren durch Heizungs- und Gebäudesanierungen teils mehr als halbiert und würden sich künftig weiter reduzieren. Bereits Realität seien erste energieautarke Überbauungen. «Darin liegt die nahe Zukunft und nicht im finanziellen Fiasko einer darbenden Fernwärmeversorgung», schreibt Hilber.
Zudem fragt sich das ehemalige TBW-Kadermitglied, woher man die Grossabnehmer zu nehmen gedenke. Es fehle in Wil an grösseren Industrien oder Überbauungen, mit Ausnahme von Stihl, Klinik und Spital. Dabei komme für die Firma Stihl Fernwärme nicht in Frage (Härtereiöfen), die Klinik habe bereits ein eigenes Nahwärmenetz und das Spital Wil werde in 20 Jahren vielleicht nicht mehr existieren. Erschwerend dazu komme eine «extrem lange Zuleitung mit hohen Baukosten und höheren Wärmeverlusten». Das führt laut Hilber ins finanzielle Fiasko.
Der Brief des Preisüberwachers
Hilber zieht im Brief auch Parallelen zu Biorender. Rückblende: In Münchwilen war vor einigen Jahren eine Biogasanlage errichtet worden. Weil diese aber nie richtig auf Touren kam, ging sie schliesslich Konkurs. «Im skandalösen Fall Biorender AG hat man mit geschönten Studien, Halbwahrheiten und Täuschungen allen Unkenrufen zum Trotz den Fehlentscheid im Parlament erzwungen», schreibt der ehemalige Parlamentarier.
Hilber erwähnt auch einen Brief des Preisüberwachers an den Wiler Stadtrat von März 2017. Dabei habe dieser kundgetan, dass er die Verwendung der Gewinne aus den «überhöhten Erdgaspreisen» für die Finanzierung eines Fernwärmeprojekts als eine «heikle, nicht unproblematische Quersubventionierung» erachtet. Schon viele Fernwärmeprojekte hätten ins finanzielle Fiasko geführt, weil man in ökologischer Befangenheit ökonomische Voraussetzungen geschönt habe. Für die 50 Millionen Franken, welche die Errichtung des Wiler Fernwärmenetzes laut einer Schätzung kosten soll, gebe es bessere Alternativen.
Nur 0,5 statt 1,3 Millionen gesprochen
Im Fazit schreibt Hilber, es werde von zu optimistischen Annahmen ausgegangen und die wahren Risiken würden nur ungenügend aufgezeigt. Wenn die früheren Studien die Machbarkeit ausgewiesen hätten, wäre heute die Fernwärmeversorgung längst in Betrieb. Der Zenit für neue Fernwärmeversorgungen sei überschritten.
Womöglich auch wegen diesem Brief beantragte die vorberatende Werkkommission statt eines Projektierungskredits von 1,3 Millionen «nur» einen Kredit mit einem Kostendach von 500'000 Franken für die weitere Planung. Man wolle diese etappieren. Nachdem zuerst der Stadtrat diesen Antrag gefolgt war, stimmte schliesslich auch das Parlament deutlich mit 29:3 Stimmen zu. Ungleich umstrittener war zuvor gewesen, überhaupt auf das Geschäft «Fernwärmeprojekt» einzutreten, nachdem die neuen Fakten auf den Tisch gekommen waren. Mit 19:14 Stimmen wurde schliesslich das Eintreten knapp beschlossen.
Mehrheit ist weiterhin von der Fernwärme überzeugt
Der zuständige Stadtrat Meili sagte im Parlament, dass er kein Risiko sehe. Zwei voneinander unabhängige Studien hätten gezeigt, dass das Projekt gute Chancen und eine ausgewiesene Machbarkeit aufweise. Zudem sei die Technik erprobt und funktioniere. Der Stadtrat, der zuerst 1,3 Millionen Franken für die Planung sprechen wollte, habe sich dem Antrag der Werkkommission angeschlossen, weil dieser keine inhaltliche Änderung sei, sondern lediglich eine Etappierung der Projektierung verlange. Im Parlament stellten sich CVP, FDP und SVP am Donnerstagabend hinter die Fernwärme. Die SP will die vertiefte Abklärung abwarten, um sich dann zu entscheiden, ob das Projekt sinnvoll ist. Die Grünen Prowil stimmten den 500'000 Franken zähneknirschend zu, wollen in der Werkkommission aber den Finger draufhalten.