Wer heute ein Hotelzimmer buchen will, wirft möglicherweise einen Blick in eine Bewertungsplattform im Internet. Vergleichbare Analysen der Unterkünfte gab es schon in längst vergangenen Zeiten. Über das ehemalige Hotel Schöntal in Wil war in einem Reiseführer - in Originalschreibweise - nachzulesen: «enthält elegante Speise- und Familiensäle, gut meublierte Gastzimmer und Stallungen und Remisen. Deutsche und französische Zeitungen und Zeitschriften sind zur Unterhaltung aufgelegt, Pferde und Wagen zur Verfügung der Reisenden. Die Bedienung ist sehr gut und beobachtet Alles, was auf den Comfort Bezug hat.» 

Zu diesem Hotel-Komfort gehörte unter anderem ein Pferde-Omnibus, der ankommende Gäste und ihr Gepäck direkt vom Bahnhof ins Hotel an der heutigen Oberen Bahnhofstrasse chauffierte. Dieser Sonderservice gibt einen beispielhaften Einblick in das Erfolgsrezept des Hotels Schöntal. Sein Geschäftsmodell waren ursprünglich vor allem die Postkutschen, deren Passagiere in Wil Unterkunft und Verpflegung suchten. Für die Zugtiere gab es Stallungen und Remisen. Das Geschäft mit den Reisenden florierte dermassen, dass die Stallungen ausgebaut werden mussten. Rund 80 Tiere sollen zweitweise in ihnen gestanden haben.

Neues Geschäftsfeld

Als 1856 die Bahnlinie Winterthur-St. Gallen eröffnet wurde, brach eine wichtige Einnahmequelle für den Schöntal-Hotelbetrieb weg. Postkutschen waren ein Auslaufmodell. Der Transportservice vom neuen Bahnhof ins Gasthaus war ein geschickter Schachzug, um dennoch einen Teil der Gäste beherbergen zu können. Die Kutschenverbindung war als "Schöntalomnibus" bekannt.

Gleichzeitig baute der Besitzer eine neue Wirtschaft in der Nähe der Bahnlinie. Mit seiner verkehrsgünstigen Lage wurde es rasch erfolgreich. Insbesondere die Gartenwirtschaft mit wechselnden Musikkapellen lockte das `Neuschöntal` zahlreiche Gäste an. Es bestand bis 1954.

Ursprünge in Mosnang

Doch wer stand hinter dem Hotel Schöntal und seinem Ableger? Es war eine Familie, die offenkundig einen guten Riecher für die kommenden Trends hatte. Ursprünglich stammte sie aus Mosnang. Johann Baptist Müller schien viel Unternehmergeist in sich zu tragen. 1830 baute der Kreisammann am Dorfrand von Mosnang ein grosses Schützenhaus. Vermutlich spekulierte er auf Durchgangsverkehr, der für Einnahmen sorgen würde. Er plante eine neue Strasse vom Toggenburg über die Hulftegg ins Tösstal. Seine Mitbürger konnten sich für dieses Projekt nicht begeistern. In der Folge liess Müller das Schützenhaus abbrechen und in Wil als Hotel Schöntal wieder aufbauen. Am 17.April 1836 wurde es feierlich eröffnet. Es galt fortan als bedeutendstes Haus am Platz, das auch hochrangige Gäste beherbergte. 


Gewerbe und Marktstadt

Die entsprechende Strasse hiess damals noch Winterthurerstrasse, später wurde sie zur Oberen Bahnhofstasse. Zu Müllers Zeiten wurde sie vor allem von durchziehenden Reisenden frequentiert. Über das damalige Wil heisst es im `Reise- und Handlexikon der Schweiz` (1854; Hrsg: E. Weber): «Kleine Stadt mit 1555 Einwohnern in einer fruchtbaren, angenehmen Gegend. Die Stadt liegt auf einer Anhöhe an der Strasse von Winterthur nach St. Gallen, sechs Stunden von letzterer Stadt entfernt, und hat ein freundliches Aussehen. Ihre Umgebungen sind mit Obstbäumen und Weinbergen geschmückt.» Wil sei ziemlich gewerbereich, schreibt der Autor weiter. «Hat grosse Durchfuhr und bedeutende Wochen- und Jahrmärkte.» Aus dieser Publikation stammt auch die obige positive Bewertung des damaligen Hotels Schöntal.

Eigene Weinproduktion

Der rege Reiseverkehr im verkehrstechnisch günstig gelegenen Wil hatte auch Johann Baptists Bruder Josef Ambros ermutigt. Er baute seinerseits das Gasthaus Freihof am heutigen Schwanenkreisel. Dieser wurde 1835 eröffnet. Es profilierte sich als Handelsort für Pferde. Periodisch bot auch ein Zahnarzt aus Winterthur seine Dienste an.

Die Müller-Brüder produzierten zudem gemeinsam den so genannten "Hofberger-Wein", als Gegenstück zum Wein der Wiler Ortsbürger. Und sie bauten auch das Gasthaus Rössli an der Toggenburgerstrasse. Es wurde vor allem von Fuhrleuten aufgesucht, die Richtung Toggenburg unterwegs waren oder von dort kamen. Im Hotel Schöntal seinerseits waren auch die örtliche Post und der damals aufkommende Telegraf untergebracht.

In den folgenden Jahrzenten wurde das Hotel von einer Müller-Generation zur nächsten und zur übernächsten übergeben. Ungefähr in der Zeit um den 1.Weltkrieg übergaben die letzten Müllers das Hotel an familienfremde Besitzer.

Aufschwung verändert die Stadt

Nicht nur die Eigentumsverhältnisse änderten sich, auch das Umfeld. Um die Wende vom 19. ins 20.Jahrhundert wandelte sich die ehemalige Winterthurerstrasse als Durchgangstrasse allmählich zu einer Geschäftsstrasse, der Oberen Bahnhofstrasse. Um 1910 reiht sich auf beiden Seiten der Oberen Bahnhofstrasse noch Wohnhaus an Wohnhaus, teils mit Vorgarten. Mehr und mehr wurden daraus Geschäftsliegenschaften. Zwischen 1899 und 1901 bekam die Strasse eine elektrische Beleuchtung. Um 1920 wurde sie geteert. Eine reine Fussgängerzone ist sie erst seit September 2000.

Um 1960 setzte ein allgemeiner Wirtschaftsaufschwung ein, der auch Wil erfasste und die Stadt stark veränderte. Die Zeit des Hotel Schöntal war wegen Baufälligkeit abgelaufen. Am 17.November 1967 musste es dem neuen Gebäudekomplex Centralhof weichen.

Lesen Sie hier alles zur Schliessung des Café Schöntal per Ende Oktober 2019.