Eigentlich wollte er nichts mehr sagen vor Gericht. Der 63-jährige «Frühpensionär» aus Degersheim liess dann aber doch tief blicken, als er erläuterte: «Ich bin nicht ganz normal, weil ich so viele Waffen gesammelt habe.» Tatsächlich ist einzigartig, was die Polizei Ende 2017 in seinem Haus in Degersheim gefunden hat: 280 Waffen, weit über 100'000 Schuss Munition – und obendrein noch gut 1,3 Millionen Franken Bargeld. Es ist somit der grösste Waffenfund, den es im Kanton St. Gallen je gegeben hat. Laut dem Verteidiger des Angeklagten habe der Mann einen Grossteil der Waffen von seinem Vater vermacht bekommen. «Ich habe jeden Seich gesammelt und die Waffen nicht angemeldet. Das war ein grosser Fehler», sagte der heute 63-Jährige, der keiner Arbeit mehr nachgeht.
Vor Gericht war am Donnerstag zu klären, ob der Degersheimer illegale Waffenverkäufe getätigt hat. Er war in Kontakt mit einem türkisch stämmigen Mann, der mittlerweile in Österreich wegen unrechtmässigem Waffenhandel rechtskräftig verurteilt worden ist. Fünf Waffen soll der Degersheimer laut Anklageschrift verkauft und vier bis fünf weitere Waffen zum Verkauf angeboten haben. Bei der Beweisfindung waren die Telefon-Protokolle dienlich. Der Angeklagte verwendete bei den Gesprächen Code-Wörter wie «Kleine Deutsche», «Schlange» oder «Kühlschrank». Der Richter kam zum Schluss, dass es sich dabei aber nicht um eine Frau aus dem horizontalen Gewerbe, und auch nicht um ein Tier und auch nicht um ein Kühlgerät handelte. «Wenn alles legal gewesen wäre, hätte man nicht Codewörter nehmen müssen», hatte der Staatsanwalt bereits während der Verhandlung gesagt. Der Rechtsanwalt war hingegen der Meinung, es gäbe keine Beweise, dass sein Mandant illegal Waffen verkauft habe.
«Unsorgfältiger kann man nicht umgehen»
Zudem soll der Angeklagte seine eigenen drei Kinder, die bis heute bei ihm zuhause wohnen, in Gefahr gebracht haben, weil die Waffen frei zugänglich waren. «Ich wollte drei Waffen meinen Kindern schenken. Doch sie waren nicht interessiert und darum habe ich diese Waffen dann vernichtet», sagte der Angeklagte. Für dessen Verteidiger war klar, dass keine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit vorlag und auch keine kriminelle Energie bestand. Aus seiner Sicht lieb wenig aus der Anklageschrift übrig – und er beantragte eine Geldstrafe von 15'000 Franken. Der Staatsanwalt forderte hingegen eine zweijährige Haftstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt werden könne.
Der Richter verurteilte den Mann schliesslich zu einer 18-monatigen Haftstrafe. Diese wurde bedingt ausgesprochen, womit der Mann nicht ins Gefängnis muss. Die Probezeit beträgt drei Jahre. Zudem bekam er eine Busse von 8000 Franken aufgebrummt. «Unsorgfältiger kann man fast nicht mit Waffen umgehen. Das war eine hohe Gefährdung. Man stelle sich vor, ein Einbrecher wäre in ihr Haus gekommen und hätte die Waffen genommen», sagte der Richter. Für ihn war der Verkauf von fünf Waffen – «wahrscheinlich Pistolen» - bewiesen. Da diese über den türkischstämmigen Mann weiterverkauft wurden, sagte der Richter zum Degersheimer: «Sie sind Mitspieler dieses Systems.»
Verurteilter bekommt viel Geld zurück
Ein weiterer Aspekt dieser Verhandlung war, dass der angeklagte Mann viel Geld zurückbekommt. Das bei ihm zuhause gefundene Bargeld von weit über einer Million Franken, welches 2017 eingezogen worden ist, wird ihm zurückgegeben. Abgezogen werden aber die Gerichtskosten, soweit sie der Degersheimer bezahlen muss.
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So hat hallowil.ch im Vorfeld berichtet:
Die Meldung kam selbst in Degersheim überraschend, als der grösste Waffenfund in der Geschichte des Kantons St. Gallen aufflog. Es geschah im Dezember 2017. Die Polizei stellte in einem Haus 280 Waffen sicher, darunter auch Maschinenpistolen, Mehrzweckgewehre und Revolver. Ferner waren rund 100'000 Schuss Munition dabei – und über 1,33 Millionen Franken Bargeld. Er traue keiner Bank und habe auch kein Konto. Darum sei das Geld bei ihm zuhause», sagte der Mann einige Tage später gegenüber dem «Blick».
Knapp zwei Jahre nach dem Zwischenfall muss der Mann heute Donnerstag vor dem Kreisgericht Wil in Flawil erscheinen. Dann findet die Hauptverhandlung statt. Die Staatsanwaltschaft fordert eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt wird. Was so viel heisst, dass der Mann mit allergrösster Wahrscheinlichkeit nicht hinter Gitter muss. Ausser vor Schranken ergäbe sich ein neuer Sachverhalt, welcher ein höheres Strafmass erforderte.
Waffen für kriminelle Aktivitäten verkauft
Doch wofür soll es eigentlich die Strafe geben? Laut der Staatsanwaltschaft soll der Angeklagte im Jahr 2016 einen in Österreich wohnhaften, türkisch stämmigen Mann kennengelernt haben – auf einem Flohmarkt in Werdenberg. Es soll in der Folge zu mehreren Treffen zwischen ihnen beiden gekommen sein, wobei der Angeklagte dem Türken fünf Waffen verkaufte, obwohl dieser keinen Waffenvertrag besass. Mehr noch: Laut der Anklageschrift musste der Beschuldigte wissen oder zumindest annehmen, dass sein Abnehmer die Waffen und Munition an Kriminelle weiterveräussern würde, was letztlich die Basis für Vergehen oder Verbrechen sei.
Wie die Staatsanwaltschaft ermittelt hat, soll der besagte Türke tatsächlich in Waffenverkäufe verstrickt gewesen sein, die in zumindest einem Fall Rückschlüsse auf ein versuchtes Tötungsdelikt zulassen. So sei im Mai 2016 in Toulouse versucht worden, jemanden mit einer Schusswaffe zu töten. Die Tatwaffe lieferte ein Franzose, welcher die Waffe in Baden-Württemberg von einer deutschen Kontaktperson erworben hatte. Der Türke verkaufte gemäss Anklageschrift zwischen 2016 und 2017 Waffen an eben diese Kontaktperson nach Deutschland.
Die eigenen Kinder in Gefahr gebracht
Zudem wird dem Angeklagten vorgeworfen, dass er die Waffen in seinem Haus in verschiedenen Räumen aufbewahrt habe – und diese zum Beispiel für seine Kinder frei zugänglich waren. Zudem soll er Waffen verkauft haben, ohne die zuständige Behörde über den Vertragsabschluss zu informieren.
Die Gerichtsverhandlung könnte für den Degersheimer aber auch etwas Gutes haben. Denn wahrscheinlich bekommt er danach viel Geld zurück. Die Staatsanwaltschaft fordert, dass dem Beschuldigten zwar die Verfahrenskosten auferlegt werden, der Rest des Geldes aber auf ein Konto des Mannes ausbezahlt wird. Das dürfte mehr als eine Million Franken sein.
hallowil.ch wird bei der Gerichtsverhandlung dabei sein und darüber berichten.