Daniel Kunz* ist nervös. Er zupft ungeduldig an den Saiten seiner Violinzither. Wartet auf seinen Auftritt. Plötzlich schneidet er sich unbewusst an der Fingerbeere. Seine Frau Isabelle* schreckt auf: «Ja, aber Daniel, jetzt blutest du.» Eine Mitarbeiterin des «Kafi Peter» in Wil bringt ein Pflaster. Während Isabelle Kunz ihren Ehemann versorgt, horcht dieser plötzlich auf: «Aber ich muss doch spielen.» Seine Frau streichelt ihm über die Hand und beruhigt ihn. Schliesslich hat er noch einen Augenblick Zeit. Er nickt und lehnt sich zurück.

Seit der Gründung des Cafés «Trotzdem» vor einem Jahr kommen Daniel Kunz und seine Ehefrau Isabelle regelmässig zum Treffen, wo sich Demenzbetroffene und deren Angehörige jeden ersten Freitag im Monat begegnen. So nehmen sie auch an der ersten Geburtstagsfeier des geselligen Treffens teil. «Es ist eine gute Sache», ist Isabelle Kunz überzeugt, «und wir kommen, weil wir so bewusst weiter am gesellschaftlichen Leben teilnehmen». Dies sei wichtig, um sich nicht komplett zu isolieren. Um trotz der Krankheit Demenz «ein schönes Leben zu haben», wie die Pensionierte weiter erklärt. «Das Kurzzeitgedächtnis von meinem Ehemann ist betroffen. Er vergisst sofort alles, was unmittelbar passiert», erzählt sie. Manchmal wisse er gar nicht, dass sie wegen ihm an diesem monatlichen Treffen teilnehmen. «Mit einem Demenzkranken braucht man sehr viel Geduld und Verständnis. Und Orte wie das Café ,Trotzdem’ helfen uns Angehörigen dabei».

Die Demenz steht nicht im Mittelpunkt

Gerade weil es beim Café «Trotzdem» nicht ununterbrochen um die Krankheit Demenz geht, fühlen sich die Teilnehmer wohl und aufgehoben. «Natürlich können sich die Angehörigen von Demenzkranken hier austauschen und miteinander über den Umgang mit der Krankheit reden», sagt Edith Scherer, Leiterin Angehörigenberatung bei der Psychiatrie St. Gallen Nord (PSGN). Aber gerade beim Café «Trotzdem» – das von Alzheimer St. Gallen-Appenzell organisiert wird – stehe eben nicht immer die Krankheit im Mittelpunkt. Die verantwortlichen Organisatoren möchten, dass Demenzbetroffene und Angehörige miteinander Zeit verbringen. In gemütlicher Atmosphäre. Ungezwungen bei einer Tasse Kaffee und einem Stück Kuchen. Mal wird miteinander gespielt, ein anderes Mal wird zusammen ein Lied gesungen. «In der Regel haben wir bei jedem Treffen ein bestimmtes Thema», sagt Imelda Keller, Pflegefachfrau und Programmleiterin des Lehrgangs Pflegehelfer beim Schweizerischen Roten Kreuz (SRK) des Kantons Thurgau. Jedes Treffen, das unter einem bestimmten Motto steht, wird auch von einer Fachperson begleitet. «So erhalten Demenzkranke und ihre Angehörige wichtige Informationen über Selbstpflege, Vorsorgeauftrag, Altersheim oder den Fahrdienst des SRK», sagt Keller.

 

Demenz ist nicht immer sichtbar

Mittlerweile spielt Daniel Kunz auf seiner Violinzither. Jeder Handgriff sitzt. Er kennt jedes bekannte Schweizer Volkslied. «Munotsglöcklein». «Es Buurebüebli». Jeden Liederwunsch aus der Runde der Teilnehmer befolgt er und spielt ihn von der ersten bis zur letzten Strophe. Wer den Pensionierten eine Weile beobachtet, würde nie darauf kommen, dass er von Demenz betroffen ist. «Nur bei seiner Musik ist er nicht vergesslich», flüstert Isabelle Kunz ihrer Sitznachbarin zu.

«Den Betroffenen sieht man die Demenz in der Regel nicht an», sagt Expertin Keller, die selbst Angehörige einer Demenzkranken ist. Ihre Mutter leidet seit Jahren unter der Krankheit. Denn die Betroffenen können weiterhin kommunizieren und nehmen am Leben teil. «Auch wenn diese Menschen unter Demenz leiden, ist ihr Herz nicht dement», erklärt Keller. Meistens sehe man die Demenz in einzelnen Augenblicken erst an der Gestik und Körperhaltung. Unsicherheit und Unwohlsein mache sich bei den Betroffenen dann oft bemerkbar. «Für Angehörige ist es von grosser Bedeutung, dass sie sich vertieft und vollumfänglich über das Thema Demenz informieren», rät Keller. So verstehe man die Welt der Demenzkranken und könne verständnisvoller sowie hilfreicher reagieren. «Es ist enorm wichtig, dass man die Betroffenen im Alltag begleitet und auffängt».

Immer wieder neue Teilnehmer

Gleich neben Daniel Kunz sitzen Maria Bühler* und ihr Partner. Das Paar nimmt das erste Mal an diesem Treffen für Demenzbetroffene und Angehörige teil und ist somit neu in der Runde. «Zwei heissi Schoggi», bestellt sie. Die Demenz ihres Partners Ueli* ist weit vorangeschritten. «Es ist weder für mich noch für ihn einfach», sagt Maria Bühler. Ihnen wurde das Café «Trotzdem» ans Herz gelegt, damit sie sich eben nicht sozial isolieren. «Es tut gut zu wissen, dass wir nicht alleine mit diesem Thema sind», sagt sie. Sie wolle die Gelegenheit nutzen, um sich über das Thema Entlastung zu informieren. «Manchmal kommt man als Angehöriger an einen Punkt, wo man einfach nicht mehr kann», sagt Maria Bühler. 

«Letztes Jahr haben bei jedem Treffen im Schnitt elf Personen teilgenommen», sagt Keller. Daraus ziehen die Verantwortlichen und Organisatoren des Cafés «Trotzdem» eine positive Bilanz. Die monatlichen Treffen seien nicht nur gut besucht worden. «Viele Angehörige freuen sich darüber, dass sie mit den Demenzbetroffenen an einen öffentlichen Ort gehen können, wo alles unkompliziert ist», so Scherer. Immer wieder würden sich neue Teilnehmer anmelden – viele davon kommen regelmässig an den Monatstreffen vorbei. Die Verantwortlichen des Cafés «Trotzdem» werden auch weiterhin für das monatliche Treffen werben. Sollten an den einzelnen Treffen in Zukunft mehr Leute teilnehmen, «müssen wir uns dann einen neuen Standort suchen», sagt Scherer.

*Namen aus Persönlichkeitsschutz der Betroffenen von der Redaktion geändert. 

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Ein Höhepunkt während der Geburtstagsfeier des Cafés «Trotzdem»: Ein Demenzbetroffener spielt auf seiner Violinzither.