Mit seinem neuen Roman «Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt» verstrickt Peter Stamm das Vergangene mit dem Jetzt und erzählt vom verlorenen Gleichgewicht. In der Buchhandlung Buch & Papier reihen sich die Festbänke aneinander. Holzhocker und allerlei Klappstühle, Gartenstühle und sonstige Sitzgelegenheiten stehen im Laden verstreut. Die frühen Besucher trinken Rotwein, man kennt sich, man mag das Sitzen zwischen Büchern und dem dem farbenfrohen Krimskrams, auch wenn der Rücken schmerzt, bevor die Lesung beginnt. Sie freue sich wahnsinnig, sagt Barbara Gyger Bühler, als sie strahlend ihren heutigen Gast Peter Stamm begrüsst. Nie hätte sie zu träumen gewagt, dass der Schriftsteller ihre Einladung nach Sirnach auch annehmen würde, erzählt sie weiter und erwähnt, dass die begrenzten Plätze innert weniger Tage ausgebucht waren.

Verstrickt in Doppelgängergeschichten
Auch der in Weinfelden aufgewachsene Peter Stamm kennt Sirnach. Einen Bänderriss habe er vor 34 Jahren bei einem Unfall davongetragen und deshalb blieb ihm das Dorf in Erinnerung, erzählt der heute in Winterthur lebende Autor, bevor er nach einem langen Schluck Rotwein sein Buch zur Hand nahm und anfing zu lesen. «Bitte kommen sie morgen um vierzehn Uhr zum Skogskyrkogarden. Ich möchte ihnen eine Geschichte erzählen» hat Christoph der viel jüngeren Frau Magdalena geschrieben. So beginnt das neue Buch von Peter Stamm. Auf einem Friedhof in Stockholm gehen die beiden spazieren, die junge Schauspielerin und der fünfzigjährige Erzähler Christoph. Er erzählt ihr, dass er vor zwanzig Jahren eine Frau geliebt habe, die ihr nicht nur ähnlich, die ihr gleich war. Er kennt das Leben der Frau, nichts ist ihm neu. Wenn Lena von sich und ihrem Mann Chris erzählt, weiss Christoph bereits, was sich als nächstes abspielen wird, denn er hat dasselbe erlebt mit seiner Magdalena. So beginnt die Doppelgängergeschichte um das Verwirrspiel vom Gestern zum Jetzt und dem verlorenen Gleichgewicht.

«Er und ich sind dieselben»
«Es ist weitgehend eine Inszenierung der Glücksuche als klappernden Reigen aus Doppelgängermotiven, Déjà-vus und Dorian-Grey-Momenten», schrieb die NZZ vor einem Monat über das Buch. Auch das Sirnacher Publikum wurde Zeuge davon, wie der Autor sein Zurück in das Dorf, in dem er aufwuchs, in das Hotel, in dem er als Nachtportier arbeitete beschreibt. «Der Nachtportier war ich», liest Stamm und seine Mundwinkel verziehen sich zu einem scheuen Schmunzeln. «Er und ich sind dieselben und das Hotel ist der Thurgauerhof in Weinfelden», erzählt er später dem Publikum. Auch Möbel wurden gekauft, doch nicht wie vermutet in der Ikea, sondern eher an einen TopTip oder an Möbel Pfister habe er gedacht, erzählt er etwas verlegen. Auf die Frage, ob er auch, wie Hansjörg Schneider kürzlich erwähnte, aus Wut Schriftsteller wurde, verneinte Stamm. «Als ich für den Nebelspalter schrieb, war beim Schreiben auch oft Wut im Spiel», sagt er. Bücher hingegen schreibe er gerne, könne seine Kreativität ausleben und, sofern es gelinge, sei schreiben ein positiver Prozess und seit zwanzig Jahren sein Beruf. Als er ein Kind war, habe man noch nicht mit Batteriespielzeug gespielt. So sei er mit Büchern aufgewachsen, habe mal Journalist oder Werber werden wollen und mit zwanzig habe er dann die Schriftstellerei entdeckt. «Mit Agnes ist mir vor zwanzig Jahren der Durchbruch gelungen», sagt er.