Altehrwürdiges Gebäude

Schon das Gebäude an sich ist etwas Exklusives. Wo gibt es denn schon einen 100 m langen, dafür recht engen Raum, ohne dass dafür ein ganz besonderes Bedürfnis besteht? Rundherum stehen moderne Wohnhäuser, eine reichbefahrene Strasse führt vorbei, doch die Seilerei Kislig hat ihren alten Charme behalten. Wer eintritt, spürt sofort ganz viel Geschichte. Unterstrichen wird dieser Eindruck noch durch zwei Porträt-Tafeln, eine mit dem von der Aktivdienstgeneration verehrten General Guisan – dieses Bild hing früher in ganz vielen Schweizerstuben -, das andere mit weiteren hohen Militärkadern. Die Fenster sind einfach verglast und staubig, was bei all den Naturfasern, die bei der Seilherstellung anfallen, auch kein Wunder ist. Und dass das Gebäude unter Denkmalschutz steht, scheint ebenfalls sehr verständlich. Es lohnt sich, solche Zeitzeugen auch für weitere Generationen zu erhalten. 

140 Jahre

1878 wurde die Seilerei gegründet. Damals wurden noch viel mehr Seile gebraucht als heute. Doch die Herstellung hat sich nur wenig geändert. In der Seilerei Kislig gibt es denn auch Maschinen, die so aussehen, als wären sie genau so alt wie die Firma selber. Inhaber Martin Benz scheint ein glückliches Händchen für die Wartung dieser Maschinen zu haben. Aber es gebe schon immer sehr viel zu tun, damit alles reibungslos laufe, erklärte er. Lange hat er nur allein gearbeitet, doch nun hat er eine Mitarbeiterin und dazu sogar einen Lehrling. So sollte das Handwerk auch weiterhin nicht aussterben, Stricke und Seile werden schliesslich auch heute weiterhin gebraucht.

Lange Arbeitswege

Es muss schon eine sehr grosse Fabrik sein, bis sie 100 m lange Räume aufweist. Doch für Martin Benz ist diese Länge für sein Handwerk unerlässlich. So kann er 100 m lange Fadenbündel - Fachten - aufspannen und diese zu Seilen drehen, wobei das fertige Seil dann nur noch ungefähr 75 m lang sein wird. Er gehe gut und gerne jeden Tag 15 km nur beim Seilen, dazu auf einem doch ziemlich unebenen Boden. Da ist dann abends kein Fitness-Studio vonnöten, körperliche Fitness ist für diesen Beruf unerlässlich. Von manchen wird diese lange Halle auch als „Reeperbahn“ bezeichnet, was bei vielen Assoziationen mit dem Hamburger Rotlichtmilieu hervorruft. Dabei ist doch ein „Reep“ einfach ein Seil, war es früher auch in Hamburg, denn in diesem Hafenbezirk wurden natürlich viele Seile gebraucht… So ändern sich Begriffe und Vorstellungen, nicht aber die „Wissenschaft“ der Seilherstellung. 

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Die Produktionshalle geht 100 m weit ins "Hinterland".

Faszination Handwerk

Martin Benz hat erst Zimmermann gelernt, sich dann aber in den Beruf des Seilers verliebt und bei Albert Kislig nochmals eine Lehre auf diesem Fach gemacht, allerdings mit der Auflage, später die Seilerei auch zu übernehmen. Von 1927 - 2002 war die Seilerei ununterbrochen im Besitz der Familie Kislig gewesen. Nach dem erfolgreichen Lehrabschluss stieg Martin Benz in die Produktion von Seilen ein, wobei „Produktion“ fast etwas despektierlich ausgedrückt ist, legt doch der Fachmann Wert auf die Feststellung, dass dies ein Handwerk sei, keine Fliessbandarbeit. Man spürte beim Zuhören, wie sehr diese Arbeit den Mann begeistert. Zum Glück schlägt das innere Feuer nicht nach aussen, denn ein Brand wäre bei all den Naturfaserflusen und dem alten Holzgebäude verheerend… 

Unterschiedliche Materialien

Seile werden aus ganz unterschiedlichen Materialien hergestellt. Bei Benz haben Naturfasern wie Hanf, Jute Leinen (Flachs) oder auch Sisal einen grossen Anteil. Es werden aber auch Kunststoffseile hergestellt. Drahtseile werden keine zusammengedreht, wohl aber Schlaufen zur Befestigung. Diese werden in der Lastwagenbranche, beim Theater oder auch bei Kranen eingesetzt. Auf der Homepage gibt es dazu witzige kleine Videos, die den Vorgang von Nahem zeigen. Im langen Raum der Seilerei stehen überall grosse Rollen mit Material zur Herstellung von Seilen. Allerdings kann hier kein absolutes Rohmaterial verarbeitet werden, gesponnen müssen die Fasern denn schon sein. Naturfasern sind schwerer – und teurer – als solche aus Kunststoff. So hat denn auch ein solches Seil seinen Preis. Aber Zauberer oder auch Theaterleute klopfen bei ihm an, welche eine ganz bestimmte Weichheit oder Härte der Seile, eine besondere Art der Farbgebung oder der Flechtung wünschen. Martin Benz kann hier fast alle Wünsche berücksichtigen. 

Ganz ohne Elektronik geht es auch da nicht…

In manchen Maschinen gibt es dann doch auch winzige Elektronik-Elemente, so beispielsweise in den Flechtmaschinen. Und bei der Präsentation seiner Seile kommt die moderne Technologie der Informatik trotz allem voll zum Zug. Man kann bei Martin Benz online bestellen, alle Produkte anschauen und sich über die Seilerei informieren. Der Mann verbindet so altes, solides Handwerk mit neuester Technologie. Die Kundschaft kann bequem zuhause die vielen Seilarten bestaunen. Einen Ausflug in die Seilerei ersetzt dies allerdings natürlich nicht! 

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In diesem "Ding" steckt doch ein wenig Elektronik.

Herziges Lädeli

Zu gross sollte eine Gruppe nicht sein, welche das hübsche Lädeli auf einmal betreten möchte. Auch hier ist der Platz eher eingeschränkt. Alles hängt schön gebündelt an Haken oder steckt in speziellen Schachteln, welche natürlich mit hübschen Schnur- oder Strickschlaufen hervorgezogen werden können – ein Paradies für Bastler! Sogar ganz profane Elektrokabel sehen, umgeben von einem hübsch eingefärbten geflochtenen Seil, so wie kleine Kunstwerke aus.

Geselliges

Schon auf dem Bahnhof Uzwil war das muntere Geplauder der vielen mitreisenden Frauen zu hören. Ab Wil war im hintersten Wagen für die Gruppe reserviert worden. Käthi Immoos hatte den Ausflug organisiert und natürlich vorher schon rekognosziert. Trotz Baustellen rund um die Seilerei fand auch der Bus das Ziel. Nach der äusserst interessanten Führung genossen die Frauen in einem nahen italienischen Café einen Zvieri und ein Getränk nach Wahl. Das gehört bei einem Ausflug der Uzwiler Frauen einfach dazu.

Um einen Eindruck in ein seltenes Handwerk reicher wurde die Heimfahrt angetreten. In Uzwil waren dann die Schirme gefordert, denn plötzlich goss es wie aus Kübeln. Vermutlich sind nicht alle trockenen Fusses nach Hause gekommen…

Auf der Homepage der Firma – modern und sehr benutzerfreundlich aufgebaut und mit unzähligen Informationen sowie einem Interview auf TELE ZÜRI versehen – können sich Interessierte näher mit dem Handwerk befassen. 

http://www.seile.ch/ 

In Zeitungen wurde schon viel über diesen Betrieb und seinen spannenden Besitzer geschrieben.

http://www.zsz.newsnetz.ch/panorama/leben/willkommen-auf-der-reeperbahn/story/14305278

Und wer sich weiter in altes Handwerk vertiefen möchte, findet hier ebenfalls eine ganze Fülle von Anregungen. 

http://authentica.ch/