Neujahrsbegrüssungen folgen gewissen Ritualen. Die FDP-Ortsparteien von Uzwil, Oberuzwil und Oberbüren versammelten sich dazu mehrmals auf dem Eppenberg. In diesem Jahr war nun zum zweiten Mal ein Brunch im Hotel Uzwil angesagt. Und es wurde die Gunst der Stunde genutzt und als Gast die in Wil wohnhafte Ständeratspräsidentin Karin Keller-Sutter eingeladen. Sie befasste sich in ihrer Ansprache mit den drei dringendsten Problemen auf der politischen Agenda der Schweiz. Um diese zu lösen, sei es notwendig, dass man sich von links und rechts aufeinander zu bewege und in gut schweizerischer Art mehrheitsfähige Kompromisse finde.Bruno Lusti, Präsident der FDP Uzwil und vor Jahren gleichzeitig mit Karin Keller-Sutter in den Kantonsrat gewählt, gab seiner Freude über deren Zusage und die grosse Beteiligung an der Neujahrsbegrüssung Ausdruck. Er wies auf die Leistungen von Karin Keller-Sutter und der FDP als Wirtschaftspartei hin. Die Ständeratspräsidentin befasste sich in ihrer Rede gründlich mit politischen Fragen.
Als Frau in der Pflicht
Karin Keller-Sutter war bereits vor fünf Jahren angefragt worden, ob sie bereit sei, den Ständerat 2017/18 zu präsidieren. Angesichts von nur drei Frauen, die dieses Amt bisher ausgeübt haben und der Rolle, welche die Frauen beim Aufbau unseres Landes gespielt haben, habe sie es als ihre Pflicht angesehen, die Verantwortung für eines der höchsten Ämter im Staat zu übernehmen. Ausserdem sei sie überzeugt, dass die Kraft unseres Landes in den Institutionen liege. Nebst dem Föderalismus und der direkten Demokratie garantiere auch das Konkordanzsystem die Stabilität unseres Staates.
Eine verlorene Legislatur?
Die Ständeratspräsidentin widersprach der medialen Kritik, die bereits zur Hälfte verstrichene Amtsdauer verlaufe ergebnislos. Allerdings treffe der Vorwurf der «ungelösten Zukunft» auf die drei Problemkreise Altersreform, Steuerreform und Europapolitik zu. Die Altersreform und die Unternehmenssteuerreform III seien beide im Parlament umstritten gewesen und vom Volk abgelehnt worden. In der Europapolitik sei unser eigener Spielraum eingeschränkt.
Zweigeteilte Altersreform
Die nun vorgestellte bundesrätliche Stossrichtung der Altersreform mit der Aufteilung auf zwei Pakete (AHV und Pensionskassen) entspreche ihrer eigenen Vorstellung und jener der Freisinnigen, führte Karin Keller-Sutter aus. Zunächst solle eine Reform der AHV erfolgen, bei der das Frauenrentenalter auf 65 Jahre erhöht wird. Diese Rentenalterserhöhung sei ein Sanierungsbeitrag der Frauen an die Altersvorsorge. Für die tiefsten Einkommen befürworte sie eine soziale Abfederung. Zudem müsse die Mehrwertsteuer massvoll erhöht werden, damit die AHV der Babyboomer, die in den nächsten Jahren in Rente gehen, finanziert werden könne.
Ein solches schlankes Paket erachtet die Referentin angesichts der Dringlichkeit der Sanierung der AHV als mehrheitsfähig. Allerdings müsse die Linke sich von der Vorstellung verabschieden, dass die AHV auf dem Hintergrund der demographischen Entwicklung ausgebaut werden könne. Auf der rechten Seite müsse man anerkennen, dass die AHV ebenfalls aufgrund der demographischen Entwicklung ohne massvolle Mehreinnahmen nicht saniert werden könne. Die nächste Altersreform müsse den Leistungserhalt zum Ziel haben.
In der 2. Säule sollten sich zuerst die Sozialpartner verständigen, bevor das Parlament zum Zug komme.
Grabenkämpfe bei der Steuerreform
Wie bei der Altersreform seien auch bei der Neuauflage der Unternehmenssteuerreform III wieder heftige Auseinandersetzungen zwischen den Bürgerlichen, insbesondere KMU und Gewerbe, und den Linken zu erwarten. Es bestehe aber Handlungsdruck, weil die Schweiz die privilegierte Besteuerung kantonaler Statusgesellschaften abschaffen müsse. Auch die Steuerreform in den USA wirke in dieser Richtung. Es stelle sich die Frage, wie die erwarteten Steuerausfälle von über 4 Milliarden Franken ohne Einbusse der Wettbewerbsfähigkeit kompensiert werden könnten. Die Bürgerlichen lehnten die vorgesehenen Steuererhöhungen ab, für die Linke seien sie unverzichtbar. Die parteipolitischen Gräben müssten aber unbedingt überwunden werden. Sonst drohe die Vorlage ein zweites Mal zu scheitern.
Viele offene Fragen beim Europadossier
Bei der Altersvorsorge und bei der Steuerreform erachtet die Ständeratspräsidentin noch in der laufenden Legislatur Lösungen als machbar. Nicht so beim Europadossier. Von Brüssel seien statt Zugeständnissen in jüngster Vergangenheit Schikanierungen erfolgt. Wegen der privilegierten Besteuerung der Holdinggesellschaften sei die Schweiz auf eine graue Liste gesetzt worden. Ausserdem sei die Anerkennung der Börsenregulierung nur befristet erfolgt. Zudem werde nun ein zügiger Abschluss des Rahmenvertrags bis zum kommenden Frühjahr verlangt: «Die Situation scheint verfahren. Brüssel weiss, dass ein Abkommen, in dem der europäische Gerichtshof eine tragende Rolle spielt, weder im Parlament noch beim Schweizer Volk mehrheitsfähig ist.»
Über Selbstbestimmung und Personenfreizügigkeit müsse das Schweizer Volk zuerst die Weichen an der Urne stellen und damit die Grundsatzfragen klären. Vom Bundesrat erwartet Karin Keller, dass er die Interessen der Schweiz klar vertritt, Handlungsalternativen prüft und dem Parlament deren Konsequenzen aufzeigt.
Veränderungen mutig anpacken
Für 2018 wünscht sich Karin Keller-Sutter ein gutes Vorankommen in den Dossiers Altersvorsorge, Steuerreform und Europapolitik. Bei allen Entscheiden sollten wir uns der Traditionen und Stärken unseres Landes bewusst sein und diese hochhalten. Auch der Föderalismus, die direkte Demokratie, die Freiheit, die Rechtsstaatlichkeit und die Solidarität seien wichtige Pfeiler unseres Staatswesens. Gleichzeitig brauche es auch den Mut und die Kraft, die notwendigen Veränderungen anzupacken. Das Motto ihrer politischen Arbeit hat die Ständeratspräsidentin beim Ostschweizer Historiker Georg Thürer entlehnt: “Zeitgenossen sein, Eidgenossen bleiben.»










