Sebastian Koller und Erwin Böhi, Sie amtieren seit der Mitgliederversammlung vom 16. Februar 2019 als Präsident und Vizepräsident der IG Kultur Wil. Wie geht es Ihrer Organisation heute?
Böhi: Die Rückmeldungen aus der Öffentlichkeit und insbesondere seitens der kulturell interessierten Leuten nach der Neupositionierung der IG Kultur waren durchwegs positiv. Wir haben uns jetzt strukturiert und sind daran, Aktivitäten zu planen. Vor kurzem haben wir eine Informationsveranstaltung über die Möglichkeiten der finanziellen Kulturförderung durchgeführt.
Koller: Die IG ist aus ihrer Krise im Jahr 2018 gestärkt hervorgegangen und hat daraus wichtige Lehren gezogen. Der neue Vorstand ist sich bewusst, dass im aktuellen lokalpolitischen Umfeld keine raschen Erfolge möglich sind. Wir verfolgen eine Strategie der kleinen Schritte.
Wie steht es um den aktuellen Mitgliederbestand der IG?
Koller: Schon kurz nach der Gründung im Jahr 2015 hatte sich ein Grossteil der namhaften Wiler Kulturvereine der IG Kultur angeschlossen. Die junge und alternative Kulturszene war allerdings untervertreten. Anfang dieses Jahres ist es uns gelungen, den Verein Kulturzentrum Wil (Gare de Lion) als Neumitglied zu gewinnen. Das war uns ein wichtiges Anliegen. Denn es ist unser Anspruch, das gesamte Spektrum der Kultur zu repräsentieren. Bei den natürlichen Personen hatten wir im Jahr 2018 einige Austritte zu verzeichnen, welche zwischenzeitlich durch Neueintritte überkompensiert wurden. Mit 25 Vereinen, 13 Firmen und 34 natürlichen Personen verfügen wir über einen ansehnlichen Mitgliederbestand.
Immer mal wieder taucht die Frage auf, wozu es neben den zahlreichen örtlichen Kulturvereinen auch noch eine IG Kultur braucht?
Böhi: Die IG Kultur versteht sich als Interessensvertretung der verschiedenen Kulturvereine und der Kulturschaffenden, auf der politischen Ebene. Damit wollen wir den Stellenwert insbesondere der lokalen und regionalen Kultur stärken.
Koller: Als Dach- und Lobbyorganisation hat die IG Kultur eine ganz andere Funktion als die Kulturvereine. Die IG ist keine «Kulturproduzentin», sondern das politische Sprachrohr der Wiler Kulturszene. Einzelne Kulturvereine und Kulturschaffende haben kaum das nötige Gewicht, um ihren Anliegen auf politischer Ebene Gehör zu verschaffen. Substanzielle kulturpolitische Erfolge setzen eine orchestrierte und langwierige Lobbyarbeit voraus. Dafür braucht es die IG Kultur.
Den Medien war zu entnehmen, dass sich die IG künftig auf lokaler Ebene für die politische Lobbyarbeit engagieren will. Wie ist hier der Stand der Dinge?
Böhi: Wir sind daran, im Stadtparlament eine fraktionsübergreifende Arbeitsgruppe zu gründen und haben Zusagen aus allen Fraktionen. Die Arbeitsgruppe wird sich voraussichtlich im August zu ihrer konstituierenden Sitzung treffen.
Wil verfügt mit dem Gare de Lion, der Tonhalle, dem Chällertheater, der Zwischennutzung Hof, der Bühne am Gleis, der Kinderbühne und weiteren mehr ein vielfältiges Kulturangebot. Fehlt Ihnen etwas in dieser Auswahl? Müsste es beispielweise vermehrte Ausstellungsmöglichkeiten für bildende Künstler geben?
Böhi: Wir haben festgestellt, dass oft weniger die verschiedenen Ausstellungsmöglichkeiten fehlen, sondern vielmehr die Information darüber, wo sich solche Möglichkeiten bieten. Wir sind daran zu prüfen, was wir in diesem Bereich den Kulturschaffenden bieten können.
Koller: Es gilt zu unterscheiden zwischen dem Kulturangebot und der Infrastruktur. Die Infrastruktur ist die Voraussetzung für das Kulturangebot und hier hat die Stadt Wil Nachholbedarf. Man kann sich nicht als Kulturstadt bezeichnen und während Jahrzehnten kaum etwas in die Kulturinfrastruktur investieren. Unsere Mitglieder beklagen sich über einen akuten Mangel an Probe-, Atelier- und Lagerräumen. Wiler Kulturschaffende müssen für Proben in die Nachbargemeinden ausweichen, weil sie in Wil keinen Raum finden. Das ist eine Schande. Das Angebot an Aufführungs- und Ausstellungslokalitäten scheint mir hingegen ausreichend. Als Musikliebhaber vermisse ich einzig einen Saal, der eine geeignete Akustik und ausreichend Platz für grosse Orchester- und Chorkonzerte bietet. Der lange überfällige Ausbau der Lokremise könnte diesbezüglich Abhilfe schaffen.
In Wil existieren mit dem Rock am Weier, dem Classic Openair, dem Gare de Lion und Ohm 41 publikumswirksame kulturelle Aushängeschilder. Glauben Sie, dass für die Nischenangebote und für die Newcomer mehr getan werden müsste? Oder anders gefragt: Befriedigt Sie die derzeitige Kulturförderung in Wil?
Böhi: Kulturförderung geschieht auf verschiedenen Ebenen und die Finanzierungsmöglichkeiten sind vielfältig. Es geht der IG Kultur auch darum, dass die Kulturschaffenden über die Möglichkeiten zur Förderung besser informiert sind. Zu diesem Zweck haben wir die vorher erwähnte öffentliche Informationsveranstaltung mit Katrin Meier vom kantonalen Amt für Kultur und David Zimmermann, dem Präsidenten von Thurkultur organsiert.
Koller: Die Bereitstellung von flexibel und kostengünstig nutzbaren Probe- und Atelierräumen wäre aus meiner Sicht die wichtigste Massnahme, mit welcher die Stadt kulturelle Nischenangebote und Newcomer unterstützen könnte. Im Bereich der finanziellen Kulturförderung sollte sich die Stadt Wil vehement dafür einsetzen, dass der Gemeindebeitrag an Thurkultur von einem auf zwei Franken pro Einwohner erhöht wird. Ich bin sicher, dass die dadurch erzeugte lokale Wertschöpfung aufgrund der Mitnahmeeffekte grösser wäre als die Investition. Andere Regionen investieren bis zu vier Franken pro Einwohner in die Kulturförderung.
Wie nehmen Sie die Tätigkeit der Fachstelle Kultur war? Wie beurteilen Sie den Erfolg dieser Stelle?
Koller: Unsere Mitglieder beurteilen den Nutzen der Fachstelle unterschiedlich. Mir wurde mehrfach berichtet, dass Kulturschaffende nicht die erhoffte Unterstützung erhalten haben, insbesondere bei der Suche nach Proberäumen. Andere scheinen froh zu sein, dass sie überhaupt eine Ansprechpartnerin in der Stadtverwaltung haben. Ich persönlich denke, dass die Fachstelle eine grössere Wirkung entfalten könnte, als es heute der Fall ist. Auf viele Prozesse und Projekte, welche kulturpolitisch relevant sind, nimmt die Kulturbeauftragte keinen Einfluss – wohl deshalb, weil eine allzu starke und dynamische Fachstelle Kultur für die politischen Vorgesetzten und die Verwaltung unbequem wäre. (pd)